Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
bekanntgeben und unterschiedliche Theorien über den Tatablauf und die Motivation des Täters erörtern.
Gerade nach der Entdeckung eines Tötungsdeliktes kommt es darauf an, schnell aus der Vielzahl der zumeist vorliegenden Informationen die wesentlichen Spuren herauszufiltern und diese bei der Tätersuche zu verfolgen. Das gelingt häufig, doch kommt es auch vor, dass es keine eindeutigen Spuren gibt oder bedeutende Informationen übersehen beziehungsweise falsch bewertet werden und trotz aller Anstrengungen eine Tat nicht geklärt werden kann.
Der Reisezug, wie er offiziell in der Sprache der Bahn heißt, war auf einem Sondergleis des Bahnhofs abgestellt worden, und die Kollegen des Kriminaldauerdienstes (KDD) hatten ihre Arbeit aufgenommen. Der KDD ist der Bereitschaftsdienst der Kriminalpolizei und, wie der Name schon sagt, sieben Tage die Woche rund um die Uhr für Sofort-und Routinemaßnahmen verfügbar. Seine Beamten werden aber auch als Erste über ungewöhnliche Todesfälle von der Schutzpolizei informiert und sind deshalb vor der Mordkommission am Tatort und prüfen, ob tatsächlich von einem Verbrechen ausgegangen werden muss. An diesem Morgen hatten die Kollegen zusammen mit der Bahnpolizei bereits damit begonnen, die noch anwesenden Fahrgäste zu befragen. Doch es gab keine Hinweise. Niemand hatte etwas Verdächtiges beobachtet. Keiner hatte im fahrenden Zug einen Streit oder einen Schuss gehört oder gar einen fliehenden Täter gesehen.
Auch die Tatortgruppe des Erkennungsdienstes hatte bereits Vorbereitungen für die Spurensuche getroffen und dafür gesorgt, dass der Wagen Nummer 15, ein Schlafwagen der 2. Klasse, in dem der Tote lag, für die anstehenden kriminaltechnischen Maßnahmen abgekoppelt wurde. Der Wachhabende der Bahnpolizei informierte mich, dass der Zug am Vortag um 21.42 Uhr von Stuttgart mit dem Ziel Hamburg-Altona über Heidelberg, Frankfurt, Kassel, Hannover und Bremen abgefahren war und um 05.58 Uhr planmäßig den Bremer Hauptbahnhof erreicht hatte.
Im Abteil des Toten hatten die KDD-Beamten unter anderem einen Führerschein und mehrere Kreditkarten gefunden, ausgestellt auf den Namen des amerikanischen Staatsbürgers Tom Howe. Zum Zeitpunkt seines Todes war der Mann 57 Jahre alt.
Tom Howe steigt gegen Mitternacht in Frankfurt in den Nachtzug. Als er dem Zugführer seine Bahncard zeigt und sich ein Ticket für den Liegewagen kauft, hat dieser den Eindruck, dass es sich bei seinem Fahrgast um einen routinierten Bahnfahrer handelt. Er wirkt auf den Zugführer entspannt, unauffällig und gepflegt. Als Reisegepäck führt er lediglich eine Sporttasche mit sich. Der Schaffner weist Tom Howe das Abteil 8 zu. Obwohl in seinem Abteil vier Liegeplätze vorhanden sind, ist er der einzige Fahrgast. In den anderen Abteilen des Waggons sind es zusammen zehn Reisende. Tom Howe bittet den Zugführer, ihn gegen 05.30 Uhr zu wecken. Er steige in Bremen aus. Dann zieht er die Gardinen seines Abteils zu und löscht das Licht. Er sei müde und wolle sich schlafen legen, wie er versichert. Ob er danach noch einmal sein Abteil verlässt oder Kontakt zu anderen Fahrgästen hat, weiß der Zugführer nicht.
Als er Tom Howe am Morgen wecken und dessen Abteil öffnen will, ist es verschlossen. Mit dem Zentralschlüssel schließt der Bedienstete die Tür auf, wird von dem Fahrgast aber gleich am Betreten des Abteils gehindert. Scheinbar gut gelaunt ruft dieser ihm durch den Türspalt zu: »Alles okay! Ich bin schon wach. Vielen Dank.« Der Schaffner bemerkt noch, dass Tom Howe bereits vollständig angezogen ist und zum Aussteigen bereit scheint. Dann schließt der Mann die Tür. Zu diesem Zeitpunkt ist es bis Bremen nicht mehr weit. Nur noch knapp 25 Minuten.
Für den Zugführer ist damit sein Auftrag erfüllt. Er kümmert sich um andere Fahrgäste. Als er nach circa 7 Minuten zu Tom Howes Abteil zurückkommt, macht er eine ungewöhnliche Entdeckung: Im Gang vor der Abteiltür Nummer 8 liegt eine dunkle Socke. Daneben eine Scheckkarte von Tom Howe. Sechs Meter von der Abteiltür entfernt finden später die Beamten vom Erkennungsdienst einen weiteren Gegenstand aus Howes Besitz: seinen Ehering.
Der Schaffner wird stutzig. Nach kurzem Zögern öffnet er die jetzt unverschlossene Abteiltür: Die Türvorhänge sind zugezogen, das Fenster ist geschlossen und das Rollo heruntergezogen, die Deckenbeleuchtung ist eingeschaltet. Überall im Abteil sind persönliche Papiere und Kleidung auf dem Boden und den
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