Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
Gesichtes, keine Verletzungen an den Händen, keine durch Festhalten bedingten Hämatome an den Armen und Schultern. Nichts sprach für einen Kampf vor dem Tod. Allerdings waren beide Hände blutig – links mehr als rechts. Am Ringfinger von Tom Howes linker Hand erkannte ich den Abdruck eines fehlenden Ringes. Ich nahm mir vor, unmittelbar vor der Obduktion noch einen ausführlicheren Blick auf die Hände zu werfen. Doch zuerst hüllte ein Beamter der Spurensuche sie in Papiertüten und fixierte diese an den Handgelenken mit Klebeband. Das soll verhindern, dass das Spurenbild beim Transport der Leiche in die Rechtsmedizin verändert und damit die Schmauchspurenuntersuchung hinfällig wird. Diese Routinemaßnahme erfolgt immer dann, wenn eine Schusswaffe verwendet wurde: nicht nur bei Leichen, sondern auch bei Tatverdächtigen.
Das neben der Leiche liegende karierte Baumwollhemd von Howe wies im Brustbereich einen etwa 1 cm großen, nahezu kreisrunden und schwarz umsäumten Stoffdefekt auf – das Einschussloch – und war großflächig blutig. Aus dem Hemd würde später der Erkennungsdienst um diesen Bereich herum ein etwa 20 × 20 cm großes Stück herausschneiden. Aus dem Zustand des Stoffes lässt sich die ungefähre Schussentfernung ermitteln. Dafür benötigt der Schusswaffensachverständige allerdings sowohl die Tatwaffe als auch den Munitionstyp. Nur dann können die Ballistiker anhand der Intensität und der Verteilung von Pulverpartikeln und Schmauch die Entfernung der Waffe beim Schuss auf wenige Zentimeter eingrenzen.
Dazu werden in einem Beschusslabor sogenannte Vergleichsschüsse aus unterschiedlichen Entfernungen auf ein möglichst vergleichbares Zielmedium – in diesem Fall auf ein Baumwollhemd, wie es Tom Howe getragen hatte – abgegeben. Hinter dem jeweiligen Ziel sind in einem Geschossfang in mehreren Lagen Kunststoffblöcke gestapelt, die die Bewegungsenergie der Geschosse sofort stoppen. Der entstandene Pulverschmauch wird dann mittels einer Folie abgezogen und mit der Röntgenfluoreszenzanalyse und dem Rasterelektronenmikroskop untersucht. Der anschließende Abgleich mit dem tatrelevanten Spurenbild lässt so eine Aussage über die Schussentfernung zu.
Zwischen den Beinen und unter dem Gesäß des Toten lagen weitere Papiere und mehrere Kleidungsstücke. Unter anderem auch der zweite Schuh von Tom Howe und sein Blouson. Der Blouson war ohne Blut und unbeschädigt, doch auch hier waren die Innentaschen nach außen gekehrt. Tom Howe hatte die Jacke bei ihrer Durchsuchung vermutlich nicht getragen.
Die herausgezogenen Hosentaschen schienen eine Täterentscheidung zu sein, denn auch den Rettungskräften war dieser Umstand bereits aufgefallen. Doch ob die unter dem Körper von Tom Howe liegenden Kleidungsstücke erst während des Einsatzes dorthin gelangt waren, konnten sie nicht beantworten. Die Auswertung von Tom Howes Papieren auf der Ablage war sehr aufschlussreich und schien die Theorie eines Raubmordes zu bestätigen. Nach dem Auszahlungsbeleg der amerikanischen Bank hatte sich Tom Howe einen Tag vor der Tat in den Nachmittagsstunden von dem Geldinstitut 5000 Dollar bar auszahlen lassen. Doch von dem Geld fehlte jede Spur.
Ansonsten verlief die Spurensuche ernüchternd. Nur wenige Fragmente von Fingerabdrücken und ein Schuhabdruck auf der Sitzbank konnten gefunden werden. Doch wem sie gehörten und ob sie etwas mit der Tat zu tun haben, musste erst noch geklärt werden. Ein sehr schwieriges Unterfangen, wie Sie sich sicherlich vorstellen können, da ein Zugabteil von sehr vielen Menschen genutzt wird. Viel interessanter hingegen war der vor dem Abteil gefundene goldene Ehering. Innen waren die Initialen von Tom Howes Ehefrau und das Hochzeitsdatum eingraviert. Im Gegensatz zu den Händen des Toten wies der Ring kein Blut auf.
Die Voraussetzungen für eine gerichtliche Leichenöffnung sind nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) klar reglementiert. Sie erfolgt normalerweise auf Anordnung des Gerichtes oder der Staatsanwaltschaft und wird von zwei Ärzten durchgeführt, von denen grundsätzlich einer Gerichtsarzt oder Leiter eines gerichtsmedizinischen Instituts sein soll. Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft kann bei der Leichenöffnung anwesend sein.
Aber nicht nur bei Tötungsdelikten kommt es zu einer Obduktion. Sie kann immer dann angeordnet werden, wenn ein Mensch unter unklaren Umständen verstirbt und die Polizei mit der Klärung der Todesursache beauftragt wird.
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