Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
mitgenommen, sondern auch die Patronenhülse aufgehoben? Oder hatte er Tom Howe mit einem Revolver erschossen, bei dem die Hülsen in einer Trommel stecken bleiben und nicht wie bei einer Pistole nach einem Schuss aus der Waffe automatisch ausgeworfen werden?
Während die Beamten vom Erkennungsdienst in einem Spurensicherungsbericht die einzelnen Spuren und ihre Lage dokumentierten und nach Fingerabdrücken und anderen tatrelevanten Beweisen suchten, beschrieb ich im Tatortbefundbericht ausführlich den Zustand der Kabine. Indem ich die Situation am Tatort festhalte, schaffe ich mir eine Grundlage, auf der sich das Tatgeschehen besser rekonstruieren lässt.
Zudem fotografierten die Spurensucher das Abteil und drehten ein kurzes Video. So kann später die Fundsituation auch von anderen Personen nachvollzogen werden, die nicht am Tatort waren und mit dem Fall betraut sind: Richter, Staatsanwälte, Verteidiger eines eventuellen Beschuldigten, Sachverständige und andere Ermittler.
Anschließend folgte die Sicherung von textilen Mikrospuren an der Leiche. Dabei geht es um Fasern, die beim Tatgeschehen durch den körperlichen Kontakt zwischen Täter und Opfer gegenseitig von der einen auf die andere Kleidung übertragen worden sein können: der sogenannte Fasertransfer. Das Ziel dieser Maßnahme liegt darin, bei den späteren kriminaltechnischen Untersuchungen eine sogenannte Leitspur zu finden. Das ist eine sehr individuelle Faser eines Kleidungsstücks des Täters, die die Suche nach ihm erleichtert und einen Kontakt zwischen Opfer und Täter bei der Tat beweisen kann. Um zu verhindern, dass von den Spurensuchern zusätzliche Fasern oder Haare auf die Leiche fallen, hatten sich meine Kollegen und ich weiße Overalls angezogen. Die Beamten versahen den Körper von Tom Howe von Kopf bis Fuß mit zahlreichen selbstklebenden, durchsichtigen Folienstreifen, die sie nummerierten und fotografierten. So gewährleisteten sie, dass bei späteren Untersuchungen genau der Körperbereich lokalisiert werden konnte, an dem sich die Fasern befanden, und ermöglichen so auch Rückschlüsse auf das Tatgeschehen.
Die Sicherung von Faserspuren ist sehr zeitaufwendig, denn bevor eine Aussage darüber getroffen werden kann, ob bestimmte Fasern tatrelevant sein können oder nicht, müssen Vergleichsfasern aus dem Haushalt des Opfers gesichert werden. Dieses Vorgehen soll Fehlinterpretationen verhindern. Sobald es einen Tatverdächtigen gibt, sind auch bei ihm wie beim Opfer Vergleichsproben zu nehmen. Nicht immer ist diese Form der Beweisführung von Erfolg gekrönt. Das liegt daran, dass es sich bei vielen Textilien um Massenware handelt und häufig nur die Aussage möglich ist, dass die als Leitspur bestimmte Faser von einem Kleidungsstück des Täters oder einem vergleichbaren, also einem aus derselben Produktion stammen kann.
Konnte bei den Untersuchungen ein Kleidungsstück als möglicher Spurengeber identifiziert werden, ist eine Herkunftsfeststellung unumgänglich. Dafür ermitteln wir den Hersteller des Kleidungsstückes und befragen ihn dazu, wie viele Textilien dieser Art er hergestellt hat und wohin sie geliefert wurden. Je geringer die Produktion, desto besser für die Beweisführung.
Als diese Arbeit abgeschlossen war, kennzeichneten meine Kollegen die einzelnen Situationsspuren mit fortlaufend nummerierten Spurenkarten. Sicher haben Sie schon des Öfteren in einem Krimi einen mit zahlreichen Nummernkarten bestückten Tatort gesehen. Die Leiche bekommt immer die Tafel mit der Nummer 1. Dann werden zunächst die in der Nähe der Leiche vorhandenen Spuren aufgenommen. Gesucht wird im Uhrzeigersinn und spiralförmig vom Opfer weg. Entsprechend tragen am Ende die am weitesten entfernten Spuren die höchsten Nummern.
Das Abteil war winzig und hatte nur eine Größe von etwa 180 mal 170 cm. Auf beiden Seiten befanden sich Ruhebänke mit Rückenlehnen, über denen jeweils eine klappbare Liegefläche angebracht war. Beide Liegeflächen waren heruntergeklappt. Der Raum zwischen den gegenüberliegenden Bänken war nur knapp 55 cm breit, wenig Platz, um sich frei zu bewegen. Auf der rechten Sitzbank lag eine geöffnete und leere Sporttasche, deren Inhalt schien wahllos herausgerissen und in großer Eile überall im Abteil verstreut worden zu sein: Portemonnaie, diverse Kosmetikartikel, Papiere und Kleidungsstücke. Der Tatort eines unter Zeitdruck agierenden chaotischen Täters?, fragte ich mich.
Das 80 mal 120 cm große Fenster
Weitere Kostenlose Bücher