Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
Doch die Bereitschaft der Staatsanwaltschaft, Geld für Obduktionen auszugeben, nimmt im Zeitalter der leeren Haushaltskassen leider bundesweit stetig ab. Deshalb fallen immer mehr rechtsmedizinische Institute dem Rotstift zum Opfer, und auch weiterhin werden Verbrechen, Unglücksfälle und Suizide nicht erkannt. Ich befürchte, mehr denn je.
Die Untersuchung einer Leiche in der Rechtsmedizin ist für mich im Laufe der Jahre zur Routine geworden. Doch immer wieder überkommt mich ein beklemmendes Gefühl. Der Tod ist hier überall in den Räumen zu spüren. Er ist einfach präsent. Doch am beeindruckendsten ist für mich der charakteristische Geruchsmix von Tod und Reinigungsmitteln in der Rechtsmedizin. Manchmal süßlich und dann ein anderes Mal wie verdorbenes Fleisch. Gerüche, die sich unverwechselbar in das Bewusstsein einbrennen. Daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt.
Doch das ist nicht immer so gewesen. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich bei meinen ersten Obduktionen stets ein kleines Fläschchen mit Parfüm bei mir trug und es mir – ohne dass es die anderen sehen sollten – vor die Nase hielt. Trotzdem war der Leichengeruch so nicht zu überdecken. Setzte er sich doch in der Nase, im Mund, in den Haaren und der Kleidung fest, so dass manchmal nicht einmal zuhauf gelutschte scharfe Lakritze und eine ausgiebige Dusche ihn beseitigen konnten. So, als sei der Geruch Teil von mir selbst geworden.
Der Sektionssaal gleicht einem Operationssaal: helles Licht, Boden und Wände weiß gefliest. Sterile Sauberkeit. An dem Sektionstisch aus Edelstahl habe ich schon sehr häufig gestanden: nicht nur als Mordermittler, sondern auch zweimal für mehrere Wochen als Hospitant in einem rechtsmedizinischen Institut, um mich auf meine Aufgaben in der Mordkommission beziehungsweise als Fallanalytiker vorzubereiten.
Frühmorgens um 6 Uhr begann ich mit dem Präparator , dem Sektionsgehilfen, den Körper von Leichen im Rahmen von außergerichtlichen Sektionen zu öffnen. Führte das Skalpell zum sogenannten Y-Schnitt von beiden Schultern bis zum Brustbein und von dort senkrecht bis zur Scham, vorbei am Bauchnabel, präparierte Haut und das Fettgewebe ab, durchtrennte dann mit einer Zange die Rippen und entnahm schließlich die Organe des Toten aus der Brust-und Bauchhöhle für die weitere Begutachtung durch den Rechtsmediziner. Nach dessen Feststellung der Todesursache legten wir die Organe in die Körperhöhlen zurück. Ich nähte den Körper des Toten zu, wusch ihn und schob die Leiche in das 4 Grad Celsius kalte Kühlfach.
Diese Hospitation mag für einen Kriminalbeamten ungewöhnlich sein, aber es hilft mir bei der Arbeit, dass ich die körperlichen Spuren des Todes aus der Nähe kennengelernt habe.
Bei der Obduktion des toten Bahnfahrers zeigten sich an beiden Händen klassische Blutübertragungsspuren, sogenannte Abklatschspuren. Die konnten dadurch entstanden sein, dass Tom Howe auf die blutende Wunde oder auf sein blutiges Hemd gedrückt hatte. Doch dieser Umstand war nicht weiter bedeutsam, denn dass er nach seiner Verletzung noch einige Zeit gelebt hatte, wussten wir bereits, und es entsprach auch der Fundsituation.
Viel wichtiger waren die zahlreichen kleinen Blutspritzer, teilweise nur stecknadelkopfgroß und sprühnebelgleich, an seinem Daumen, dem Zeigefinger und dem Handrücken seiner linken Hand, die den feinen Blutspritzern auf der Ablage im Zugabteil glichen. Aus diesen Feststellungen schloss ich, dass die Waffe und Tom Howes linke Hand bei dem Schuss in unmittelbarer Nähe der Wunde gewesen sein mussten. Das in den Körper eindringende Projektil hatte mit hoher Energie aus der entstehenden Wunde Blut und Gewebe spritzen lassen: kreisrund, trichter-und strahlenförmig, das sich an seiner linken Hand niederschlug. Zeichen von sogenannten Hochgeschwindigkeitsspritzspuren, wie sie nach einem Schuss entstehen, wenn der menschliche Körper durch ein Objekt mit hoher Auftreffgeschwindigkeit verletzt wird.
Vor der eigentlichen Obduktion bestrich ein Kollege des Erkennungsdienstes beide Hände des Toten mit einem Polyvinylalkohol-Überzug. Polyvinylalkohol ist eine wässrige Lösung, die alle Anhaftungen auf der Haut aufnimmt und nach dem Trocknen wie ein Handschuh abgezogen werden kann. In der Kriminaltechnik sollte untersucht werden, ob sich an den Händen des Toten sogenannte Schussresiduen (Rückstände von Schmauch und Treibladungspulver der Patrone) befanden oder nicht. Denn bei jeder
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