Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
zusätzlich eine rätselhafte Erkrankung sein Allgemeinbefinden stark beeinträchtigt. Erst vor wenigen Monaten, so seine Frau, habe er einen Rückfall erlitten und sei seit diesem krankgeschrieben. Trotzdem war er nach Süddeutschland gefahren, wo ihm eine größere Versicherungssumme ausgezahlt werden sollte: über 10000 Mark. Die Kollegen berichteten weiter, dass Tom Howe seinen Ehering ständig trug und Rechtshänder war. Kurz vor seiner Abfahrt nach Bremen hatte er zu Hause angerufen und seiner Frau gesagt, er habe das Geld bekommen und es aus Sicherheitsgründen in einem Kuvert in seine linke Hosentasche gesteckt.
Zur Überraschung meiner Kollegen übergab ihnen die Frau ein von Tom Howe an seinem Abreisetag verfasstes Testament mit sehr detaillierten Verfügungen zu seinem Vermögen und einer Lebensversicherung sowie den Modalitäten seines Begräbnisses. Warum er zu diesem Zeitpunkt seinen Letzten Willen formuliert hatte, wusste die Frau nicht. Für sie sei der Tod ihres Mannes vollkommen überraschend gekommen. Sei er doch allseits beliebt gewesen und habe keine Feinde gehabt. Vermutlich sei er das zufällige Opfer eines Raubmordes geworden. Eine Selbsttötung schloss sie aus. Ihr Mann sei zwar sehr verschlossen gewesen, habe trotz seines Rückfalls wenig über seinen Gesundheitszustand geredet, aber auch nie angedeutet, dass er sich das Leben nehmen wolle.
Wir machten eine Bestandsaufnahme und begannen alle Informationen zu bewerten. Auf den ersten Blick sprach vieles für einen Raubmord: das durchwühlte Zugabteil, die fehlende Waffe, das geschlossene Abteilfenster, das heruntergezogene Rollo, das fehlende Geld. Das waren sicherlich gute Gründe. Gegen einen Mord sprachen jedoch die blutigen Spritzspuren an den Händen des Opfers und auf der Ablage vor dem Fenster. Und ich fragte mich weiter, was der Ehering, die Socke und die Scheckkarte auf dem Gang zu bedeuten hatten? Warum hätte der Täter eine Socke mitnehmen sollen? Warum hatte er die Dinge im Gang nicht einfach aufgehoben? Dadurch hätte er Zeit bis zur Entdeckung der Tat gewonnen, zumal der Bremer Hauptbahnhof, wo er den Zug hätte unauffällig verlassen können, nur noch wenige Minuten entfernt war. So wäre der Mord auch erst viel später entdeckt worden.
Schnell kristallisierten sich in der Besprechung zwei Lager heraus, deren Einschätzung des Falls nicht gegensätzlicher sein konnte: Während es für die größere Gruppe innerhalb der Kommission keinen Zweifel daran gab, dass der Tote Opfer eines Raubmords geworden sein musste, vertraten andere die Theorie, dass die am Tatort und an der Leiche vorhandene Spurenlage für einen als Mord inszenierten Suizid sprach.
Unter Inszenierung werden bewusste Handlungen des Täters oder von Dritten verstanden, die den Tatort oder den Zustand des Leichnams verändern, um den eigentlichen Tatablauf zu verfälschen oder ein anderes Tatmotiv vorzutäuschen. Wir sprechen dann von fingierten Spuren.
Gründe dafür können sein:
einen möglichen Tatverdacht auf eine Person – meistens auf sich selbst – überhaupt erst gar nicht aufkommen zu lassen oder
die Würde des Opfers oder ihrer Angehörigen (insbesondere nach Suiziden, tödlich verlaufenden autoerotischen Betätigungen oder der degradierenden Ablage des Opfers nach Sexualdelikten) zu schützen.
In der Literatur wird in Bezug auf Inszenierungen häufig auf persönlich motivierte Taten hingewiesen, bei denen ein Ehemann nach der ungeplanten Tötung seiner Ehefrau einen Einbruch oder ein Sexualdelikt vortäuschte, um so vom eigentlichen Tatgeschehen und Motiv abzulenken.
Einen solchen Fall habe ich selbst vor einigen Jahren bearbeitet. In einem Park war eine junge Frau mit zahlreichen Stichverletzungen im Gesicht und Oberkörper ermordet aufgefunden worden. Ihre Hose war bis zu den Knien heruntergezogen. Auf den ersten Blick sprach alles für ein Sexualdelikt. Die Art, wie die Kleidung der Frau heruntergezogen war, ließ sich jedoch mit einem tatsächlich durchgeführten oder zumindest ernsthaft geplanten Sexualdelikt nicht in Einklang bringen, so dass sich zwangsläufig ein Verdacht auch gegen den von ihr getrennt lebenden Ehemann richtete. Nach einer mehrstündigen Vernehmung gestand er schließlich, seine Frau getötet zu haben. Er habe sie aufgefordert, zu ihm zurückzukehren. Doch das habe sie nicht gewollt. Schließlich sei er derartig in Wut geraten, dass er in blinder Wut auf seine Frau einstach. Die Tat sei überhaupt nicht geplant
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