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Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Titel: Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Petermann
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statt auch andere Erklärungsmodelle zu verfolgen. Hätte es mich nicht wundern müssen, dass nur wenige violette und rote Fasern in Fritz Henkels Wohnung gefunden worden waren? Konnten die Fasern nicht auch durch sogenannte berechtigte Kontakte übertragen worden sein, also durch Kontakte im täglichen Leben? Oder war es bei der Untersuchung der zahlreichen Kleidungsstücke des Opfers und von Fritz Henkel zu ungewollten Fasertransfers gekommen?
    Ein Fehler bei der Bewertung von Beweisen, den ich schon früher in komplexen Ermittlungsverfahren beobachtet hatte: Informationen, die die eigene These zu bestätigen scheinen, werden stärker gewichtet als widersprechende. Aber diese Erklärungsversuche halfen jetzt auch nicht weiter. In Bezug auf die Ermittlung des wahren Täters sollte die Vergangenheit natürlich nicht ruhen. Mit dem neuen DNA-Profil sollte dieses auch möglich sein – auch wenn das Muster des Täters bisher noch nicht in der DNA-Datei eingestellt war. Das bedeutete, dass von Wilhelmine Heuers Mörder wegen eines anderen Verbrechens die DNA noch nicht festgestellt worden war.
    Ich hatte inzwischen die Mordkommission verlassen und war seit 2004 Leiter der Operativen Fallanalyse. Gemeinsam mit meinen Kollegen begann ich die Fakten des Falles im Rahmen einer Analyse noch einmal neu zu bewerten.
    Als Erstes informierten wir uns ausführlich über die Details des lange zurückliegenden Falles: suchten den früheren Tatort auf, werteten Tatortbefundbericht, Spurensicherungsbericht, Obduktionsprotokolle und die Tatortfotos aus. Zudem besprachen wir mit einem Psychiater, einem Sexualmediziner und einem Rechtsmediziner das Verhalten des Täters und schätzten seine Persönlichkeit ein. Unser interdisziplinärer Ansatz erlaubt es, menschliches Verhalten aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und es in eine umfassendere Struktur zu bringen als bei meinem lang zurückliegenden Versuch in der Mordkommission. Hierin liegt ein großer Vorteil der Fallanalyse gegenüber der herkömmlichen Arbeit auf der Spur: Subjektive Einschätzungen zu Tatgeschehen und Verhalten von Verdächtigen, wie sie sich bei der unmittelbaren Fallarbeit einer Mordkommission gar nicht vermeiden lassen, entfallen und werden durch eine zwar praxisnahe, aber insgesamt analytischere Herangehensweise ersetzt.
    In einem zweiten Schritt begannen wir internationale Studien über Tötungsdelikte an alten Frauen über sechzig Jahren, über Sexualstraftäter und Muttermörder auszuwerten, um Parallelen zum Täterverhalten im Fall Wilhelmine Heuer zu ziehen. Es zeigte sich, dass die Sexualmörder häufig das Opfer kannten und in seiner Nähe wohnten. Daher waren sie von den Opfern in die Wohnungen eingelassen worden beziehungsweise hatten sich durch offene Türen oder Fenster Eintritt verschafft. Die Täter hatten fast immer impulsiv und desorganisiert gehandelt, die Opfer überraschend angegriffen und ihnen massive und multiple Verletzungen zugefügt. Als Todesursache kamen – fast immer in Kombination – Erwürgen und Erdrosseln sowie scharfe oder stumpfe Gewalt (Erstechen oder Erschlagen) vor, häufig exzessiv und als Übertöten. Manchmal waren die tödlichen Verletzungen auch begleitet von Genitalverletzungen und Verstümmelungen. Nur in seltenen Fällen waren die Opfer erschossen worden. Obwohl in drei Viertel aller Fälle die Täter Geld und Wertsachen mitgenommen hatten, standen sexuelle Handlungen und Verletzungs-und/oder Tötungsabsicht im Vordergrund. Die Opfer waren am letzten Aktionsort des Täters liegen gelassen worden, waren ganz oder zum Teil entkleidet und sehr häufig sexuell – manchmal auch postmortal – missbraucht worden: vaginale und anale Penetration, Einführen von Gegenständen.
    Das Durchschnittsalter der Täter betrug circa siebenundzwanzig Jahre und umfasste die Altersspanne von fünfzehn bis sechzig Jahren. Viele von ihnen hatten Alkohol-und Drogenprobleme, keine Ausbildung und Arbeit. Neunzig Prozent der Täter hatten Vorstrafen wegen Einbruchs, aber nur jeder Fünfte wegen früherer Sexualdelikte.
    Da bei einem Mord an einer alten Frau für das Täterprofil immer geprüft werden muss, ob der Täter eventuell negative frühkindliche Erfahrungen mit der Mutter auf das deutlich ältere Opfer projiziert hat, setzte ich mich auch mit dem Phänomen des symbolischen Muttermordes (Fachbegriff: chiffrierter Matrizid ) auseinander. Aus psychodynamischer Sicht ist die Tötung dabei der Versuch, die eigentlich gegen die

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