Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
Kollegen und mir erstellte Täterprofil auf ihn zutraf.
Tatsächlich war Bernd Holstein zu einem Gespräch bereit. Das änderte sich auch nicht, als ich ihm deutlich zu verstehen gab, dass ich seine Ausflüchte hinsichtlich seiner Unschuld nicht glaubte und aus Achtung vor dem Opfer auch nicht bereit war, mit ihm darüber zu sprechen. Diese Ansage schien den Mann zu beeindrucken, denn während unserer Unterhaltung schwieg auch er zu dem Thema.
Bernd Holstein erzählte, dass er zwar zunächst bei seinen Eltern gelebt hatte, dann aber bis zu seinem zehnten Lebensjahr bei seiner Großmutter aufgewachsen war. Gute Freunde habe er während seiner Kindheit und auch später als Erwachsener nie gehabt. Als die Familie aus beruflichen Gründen in den Süden von Deutschland zog und das familiäre Zusammenleben problematisch wurde, riss er kurz entschlossen von zu Hause aus und trampte zurück nach Bremen. Für eine längere Zeit zog er wieder bei seiner Großmutter ein, kehrte dann jedoch zu seinen Eltern zurück. Er besuchte die Hauptschule, die er in der achten Klasse ohne Abschluss verließ. Verschiedene Lehren u.a. als Bierbrauer und Einzelhandelskaufmann brach er frühzeitig ab – möglicherweise auch wegen eines Verkehrsunfalls mit seinem Motorrad, bei dem er kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag schwere Kopfverletzungen erlitt.
Nach langen Rehamaßnahmen arbeitete er als Lkw-Fahrer für verschiedene Speditionen im gesamten Bundesgebiet. Da er Schwierigkeiten hatte, sein Leben zu ordnen, und Schulden anhäufte, entschloss er sich, wieder nach Bremen und vorübergehend zu seiner Großmutter zu ziehen.
Zur Tatzeit war Bernd Holstein verlobt. Da ihm seine Wohnung fristlos gekündigt worden war, lebte er mit der zehn Jahre jüngeren Frau wieder einmal bei seiner Großmutter. Von ihrer Wohnung war er auch zum Geschäft von Wilhelmine Heuer gegangen, um eine Flasche Korn zu kaufen. Angeblich für seine Großmutter, um sich bei ihr für die Aufnahme zu bedanken. Es war die Flasche, die wir am Tatort neben der Kasse fanden.
Einen Monat nach dem Mord heiratete Bernd Holstein seine Verlobte. Nach körperlichen Übergriffen und zahlreichen Affären wurde die Ehe jedoch zehn Jahre später geschieden. Bernd Holsteins Leben verlief weiterhin unstet: wechselnde Frauenbekanntschaften und Arbeitgeber, zwischen den Jobs Lkw-Fahrten quer durch Europa, Wohnen im Lkw.
Auch über seine Vorstrafen gab mir Bernd Holstein bereitwillig Auskunft: Bis zum Mord war er wegen Diebstahls, Urkundenfälschung, fahrlässiger Körperverletzung, Fahren ohne Fahrerlaubnis und Straßenverkehrsgefährdung verurteilt worden.
Zehn Jahre nach dem Mord an Wilhelmine Heuer hatte Bernd Holstein erneut eine Frau sexuell missbraucht. Dieses Mal eine Prostituierte, die in ihrem Wohnmobil Freier empfing. Nach Zahlungsstreitigkeiten sprühte er der Frau ein Reizgas ins Gesicht, würgte sie bis zur Bewusstlosigkeit und zerriss ihre Strumpfhose im Schambereich. Dann flüchtete er, konnte jedoch ermittelt werden, denn er hatte sein Portemonnaie und seinen Ausweis am Tatort vergessen. Für diese Tat wurde Bernd Holstein – obwohl er sie ebenfalls bestritt und vergeblich Revision beim Bundesgerichtshof einlegte – zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.
Fritz Henkel hingegen hat die Wende in dem Fall nicht mehr erlebt. Als ich ihn einen Tag nach dem DNA-Treffer im Seniorenheim besuchen und ihm die guten Nachrichten über seine endgültige Rehabilitierung erzählen wollte, war sein Stammplatz in der Raucherecke leer. Meine Befürchtung, zu spät gekommen zu sein, wurde schnell Gewissheit: Fritz Henkel war zwei Tage vor dem abschließenden DNA-Ergebnis gestorben. Drei Wochen später fand seine Beisetzung in einem anonymen Urnengrab statt. Nur eine Handvoll Menschen hatten sich mit mir an einem sonnigen Frühjahrsmorgen auf dem Friedhof versammelt, um ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten.
Auch Fritz Henkel hatte wie Dawn A. – ohne es zu wissen und sicherlich auch zu wollen – Kriminalgeschichte geschrieben. Denn es war nicht nur die erste DNA-Untersuchung bei einem in Deutschland begangenen Verbrechen, auch war Fritz Henkel der erste Tatverdächtige in Deutschland, dessen Unschuld mit einer DNA-Untersuchung bewiesen wurde.
Wer weiß, vielleicht wäre Fritz Henkel ohne die Berichterstattung über den Fall von Dawn A. und ohne den deshalb durchgeführten DNA-Test allein aufgrund der scheinbar schlüssigen Beweiskette verurteilt worden. Damit wäre er
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