Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
Alltagssituationen und wohnte in seiner Nähe,
Stammkunde bei Wilhelmine Heuer und schuldete ihr Geld,
litt an mangelnder Selbstsicherheit und lebte oder lebt gegebenenfalls mit einer älteren dominanten Frau (Mutter oder Großmutter) zusammen beziehungsweise ist auf alte Frauen fixiert,
stammt aus einem sozial schwachen Milieu, übt eine einfache berufliche Tätigkeit aus oder ist arbeitslos,
keine oder nur geringe polizeiliche Vorerkenntnisse: kein klassischer Sexualtäter, eventuell Körperverletzungsdelikte, Sachbeschädigung, Diebstahl, Trunkenheitsdelikte,
eine Alkohol-, Medikamenten-oder Betäubungsmittelabhängigkeit ist möglich, der Täter war aber vermutlich nicht deshalb in psychiatrischer Behandlung.
Parallel hatten Staatsanwaltschaft und die Mordkommission ihre Arbeit am sogenannten Cold Case wieder aufgenommen und die Fallspuren von vor fast zwanzig Jahren aktualisiert. Bei den aktuellen Überprüfungen war auch von Bernd Holstein, dem Enkel der besten Freundin von Wilhelmine Heuer, eine Speichelprobe genommen worden. Das Ergebnis der DNA-Untersuchung zeigte, dass es sein Sperma war, das am Rock des Opfers gesichert worden war. Gegen ihn bestand jetzt ein dringender Tatverdacht.
Bernd Holstein war bereits einige Monate nach der Tat überprüft worden, da er Schulden beim Opfer gehabt hatte und in ihrem Geburtstagskalender eingetragen war. Obwohl auch er Blutgruppe AB aufwies, hatten wir ihn damals aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen, weil seine Großmutter und seine Verlobte ihm für die Tatzeit ein Alibi gegeben und ausgesagt hatten, sich an dem besagten Abend angeblich zu dritt bei der Großmutter aufgehalten zu haben. Zur Tatzeit war Bernd Holstein neunundzwanzig Jahre alt.
Bernd Holstein bestritt in seiner erneuten Vernehmung die Tat und behauptete, schon mehrere Jahre vor dem Tod von Wilhelmine Heuer ihren Laden nicht mehr betreten zu haben.
In der Gerichtsverhandlung sah ich den Täter zum ersten Mal, da ich ja nicht mehr Mordermittler, sondern Fallanalytiker war. Bernd Holstein leugnete die Tat vor Gericht weiter und überraschte immer wieder mit neuen Erklärungsversuchen, die er, wie es der Staatsanwalt treffend formulierte, »stets dem Stand der Ermittlungen anpasste«. Zu guter Letzt gab er an, seit frühester Kindheit von Wilhelmine Heuer sexuell missbraucht worden zu sein. Das Sperma am Rock der Toten erklärte er mit jahrelangem einvernehmlichen Sexualkontakt. Den Abschluss seiner wenig nachvollziehbaren Argumentation bildete die Behauptung, er habe am Tattag nach dem Geschlechtsverkehr mit Wilhelmine Heuer beim Verlassen des Ladens einen Mann hineingehen sehen, den er allerdings nicht näher beschreiben könne. Von Bernd Holsteins Anwalt wurde die Einlassung des Angeklagten sinngemäß mit den Worten kommentiert, die späte Rechtfertigung des Liebesverhältnisses sei nachvollziehbar, denn eine Beziehung mit einer so viel älteren Frau werde auch heute noch als peinlich empfunden. Wie viel peinlicher müsse es deshalb für seinen Mandanten vor zwanzig Jahren gewesen sein? Das Gericht mochte sich diesen Erklärungsversuchen nicht anschließen.
Auch von dem Wissenschaftler, der vor Jahren die Fasern von Wilhelmine Heuers und Fritz Henkels Kleidung untersucht hatte, kam keine Entlastung. In einem mündlich vorgetragenen Gutachten relativierte er seine damalige Aussage: Aufgrund von Massenanfertigungen und der damit einhergehenden weiten Verbreitung von Textilien könne es häufiger zur gleichen Zusammensetzung von Elementantragungen kommen. Faseruntersuchungen ließen somit keine eindeutige Aussage zu wie eine DNA-Untersuchung. Es gebe doch keinen chemischen Fingerprint bei Fasern. Diese Aussage bestätigte, was andere Sachverständige bereits früher gesagt hatten: Eine individuelle Zuordnung von Fasern zu einem bestimmten Textil ist nicht möglich.
Das Gericht verurteilte den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Haft. Er habe Wilhelmine Heuer getötet, um eine – wie auch immer geartete – sexuelle Manipulation zu verdecken. Die von Bernd Holsteins Anwalt beantragte Revision wurde vom Bundesgerichtshof verworfen. Das Urteil ist damit rechtskräftig.
Ich mochte mich lange nicht dazu durchringen, den Verurteilten im Gefängnis aufzusuchen und ihn zum Zwecke der Evaluation zu befragen. Was würde mir ein leugnender Mörder schon zum tatsächlichen Tatablauf sagen wollen? Schließlich entschied ich mich doch zu einem Besuch, denn ich wollte wissen, ob das von meinen
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