Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
und ihren neuen Ehemann und dann sich selbst erschoss. Ein Ausnahmefall bei der Tötung eines früheren Intimpartners, denn normalerweise birgt das erste Trennungsjahr für Frauen, die ihren Partner verlassen haben, das höchste Risiko, getötet zu werden.
Warum Otto Rausch zum zweifachen Mörder wurde und sich selbst tötete, darüber lassen sich nach dem Suizid des Täters nur Vermutungen anstellen. Normalerweise helfen Abschiedsbriefe oder Zeugenaussagen, das Motiv so weit einzukreisen, dass sich ein einigermaßen klares Bild ergibt. Doch Otto Rausch hatte zurückgezogen gelebt, mit niemandem über sein Vorhaben gesprochen und auch kein Schreiben hinterlassen. Bei meinen Hintergrundrecherchen erfuhr ich, dass er sich vom einfachen Heizungsinstallateur zum erfolgreichen Geschäftsmann hochgearbeitet und den Betrieb gemeinsam mit seiner Ehefrau geführt hatte. Als sich die wirtschaftliche Situation verschlechterte, überschrieb er aus haftungsrechtlichen Gründen seiner Frau Ingrid seinen Anteil und arbeitete danach als ihr Geschäftsführer und Angestellter. Angeblich hatte er mit ihr vereinbart, bei dem späteren Firmenverkauf den Erlös zu halbieren. Doch dazu kam es nicht: Statt zu teilen, hatte seine Ehefrau die Scheidung eingereicht und Herbert Brünjes geheiratet.
War es eine Reaktion auf die jahrelangen finanziellen Streitigkeiten mit seiner Frau, die in den vergangenen Monaten an Schärfe zugenommen hatten? War es die Gewissheit, im Leben gescheitert zu sein? War es sein Besitzanspruch und das Bewusstsein, den in seinen Augen legitimen Anspruch der alleinigen sexuellen Kontrolle über die Exfrau verloren zu haben? Oder war es – für mich die wahrscheinlichste Variante – ein Mix aus allen drei Motiven? Fest steht nur, dass es eine emotionale Tat war – trotz der kalkulierten Vorbereitung. Das zeigt allein die Tötung von Herbert Brünjes als im Grunde unbeteiligtem Dritten. Beteiligt war er allein aus der Sicht von Otto Rausch – als sein Konkurrent und gegenwärtiger Ehemann der Frau, die ihn verlassen und damit zurückgewiesen und gedemütigt hatte. Leider ist eine solche Tat keine Ausnahme, und oft fallen ihr nicht nur die neuen Partner, eben die verhassten Nachfolger zum Opfer, sondern auch Kinder – vor allem Kinder aus früheren Beziehungen der Frau – die Stiefkinder der Täter. Auch das charakterisiert männliches Täterverhalten. Es sind ausschließlich Männer, die gleichzeitig mit der (Ex-)Partnerin auch andere töten, ehe sie sich suizidieren.
Hierbei handelt es sich weniger um klassische Mitnahmesuizide, bei denen die häufig depressiven Täter sich zur Selbsttötung entschlossen haben und einen geliebten Menschen aus einer Art Verantwortungsgefühl mit in den Tod nehmen. Vielmehr haben wir es hier mit »normalen« Tötungsdelikten von »Lebensbankrotteuren« zu tun: Das Opfer soll zerstört werden, der anschließende Suizid(versuch) ist nur eine zusätzliche Variante dieses absoluten Vernichtungswunsches. Aus diesem Grunde wird in der amerikanischen Fachliteratur bei solchen Fällen auch von murder-suicide gesprochen.
Als Erna Rosen starb, war sie fast fünfundsechzig Jahre alt: klein, ausgemergelt, wehrlos. Zwei Jahre zuvor hatte sie den fast zwanzig Jahre jüngeren und frisch geschiedenen Bertold Heindel bei sich aufgenommen und mit ihm ihr kleines Gartenhäuschen in einer Laubenkolonie geteilt.
Die Beziehung steht – nicht nur wegen des großen Altersunterschiedes – von Anfang an unter keinem glücklichen Stern, denn beide sind Alkoholiker, und ihr Zusammenleben ist geprägt von täglicher Gewalt. Während Erna Rosen in nüchternem Zustand ihren Haushalt halbwegs in Ordnung halten und den Lebensgefährten bemuttern kann, schafft sie das betrunken nicht mehr. Jedenfalls nimmt es ihr Partner so wahr. »Dann ging alles schief«, wie es Bertold Heindel bei der Vernehmung formulierte.»Sie trieb sich rum, soff und flirtete mit den jungen Böcken aus der Nachbarschaft und kümmerte sich um nichts.«
Auch Bertold Heindel kommt nach seiner Scheidung mit dem Leben nicht zurecht. Obwohl er als Schlachter beruflichen Halt hat und über ein geregeltes Einkommen verfügt, versinkt er mehr und mehr im Alkoholsumpf. Für den jähzornigen Mann ein unbefriedigender Zustand, an dem seiner Meinung nach nur eine Person schuld ist: Erna Rosen. »Ich hab es im Guten mit ihr versucht, sie ermahnt. Doch sie wollte einfach nicht mit dem Saufen aufhören. Ich habe sie sehr geliebt, doch sie machte
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