Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
Schlüssel? War diese Entscheidung nicht ein Beweis dafür, dass der Täter die Bedeutung beider Schlüssel genau kannte und wusste, zu welchem Schloss sie gehörten? Das galt allerdings nicht nur für den Ehemann, sondern auch für die Kollegen des Opfers.
Mit dieser Arbeitshypothese begannen meine Kollegen und ich, die Alibis der Mitarbeiter und die Geschichte des Briefkastenschlüssels zu rekonstruieren. Ohne Probleme stellten wir fest, dass alle Angestellten am Tattag bereits gegen sieben Uhr gemeinsam zu einer zweitägigen Verkaufsaktion außerhalb von Bremen gefahren waren. Und auch die Richtigkeit der Aussagen zu dem Briefkastenschlüssel bestätigte sich schnell: In allen, auch früheren, Übergabeprotokollen der Mietverträge war stets nur ein einziger Briefkastenschlüssel aufgeführt. Da ich nicht ausschließen wollte, dass möglicherweise ein nachträglich angefertigter zweiter Schlüssel existierte, suchte ich die ehemaligen Vormieter des Büros und deren Angestellte auf, die nahezu in ganz Deutschland verteilt waren. Das eindeutige Resultat: Es gab nur diesen einen Schlüssel.
Auch das von Michael Roth skizzierte Bild über sich und die Ehe erschien nach den Aussagen ihrer Familie und von Freunden in einem anderen Licht:
Angelika Roth lernt Michael Roth während ihrer gemeinsamen Tätigkeit als Verkäufer von Messeartikeln kennen. Der Mann macht großen Eindruck auf die Mitte Zwanzigjährige, aber unerfahrene Frau: groß und stattlich, lebenserfahren und selbstbewusst. Bereits nach einem Monat gibt sie seinem Werben nach und heiratet ihn gegen den Rat aller. Allerdings begreift Angelika Roth schon wenige Tage nach der Heirat, wie sehr sie sich geirrt hat. Der scheinbar freundliche und liebevolle Ehemann mutiert zu einem geltungssüchtigen, selbstverliebten, leicht kränkbaren, jähzornigen und eifersüchtigen Narzissten. Sie erfährt außerdem, dass er seit Jahren Heroin konsumiert, trinkt und diverse Entzugstherapien abgebrochen hat.
Als der jungen Frau bald darauf eine Stelle in Bremen als Büroleiterin offeriert wird, nimmt sie das Angebot an und zieht in der Hoffnung, ihre Beziehung werde sich bessern, zusammen mit ihrem Mann um. Die Situation ändert sich grundlegend, als aus der unselbständigen Ehefrau und gleichberechtigten Kollegin eine selbstbewusste, toughe Chefin wird, die statt Familienleben beruflichen Erfolg sucht. Die folgenden Wochen erlebt Michael Roth – wie er in seiner Aussage betonte – als kränkend, und es gelingt ihm nicht, sich an die neue Rollenverteilung zu gewöhnen. Sein Anspruch, kraft Ehe zweiter Chef zu sein, wird weder von seiner Frau noch von den Mitarbeitern akzeptiert. Verletzt in seiner Eitelkeit, beginnt er ihr Leben auszuforschen und ist von der irrationalen Annahme getrieben, sie könne ihn betrügen.
Als eines Tages mehrere Tausend Mark aus der Firmenkasse fehlen und sich der Verdacht gegen Michael Roth richtet, reicht es seiner Frau. Sie entlässt ihren Mann, fordert ihn auf, sich erneut einer Therapie zu unterziehen, und droht bei einem Scheitern mit der Scheidung. Da er Besserung verspricht, bleibt sie in der gemeinsamen Wohnung. Doch die Hoffnung auf ein jetzt normales Eheleben zerbricht schnell: Michael Roth beendet auch diese Therapie vorzeitig, trinkt mehr denn je, bedroht und schlägt seine Frau. Sie sucht Schutz bei einer Freundin, kehrt nach wenigen Tagen jedoch wieder zu ihm zurück.
Drei Wochen später dasselbe Szenario: Angelika Roth flüchtet erneut, kann sich auch dieses Mal nicht zu einer endgültigen Trennung durchringen – glaubt abermals seinen Versprechungen und kehrt zu ihrem Mann zurück. Statt sich zu ändern, steigert sich Michael Roth in seinen Überwachungswahn. Von Angelika Roths Freunden erfahre ich, dass sein Verhalten dem eines kontrollierenden Stalkers entspricht: Er durchsucht ihre Handtasche, liest ihre Post, bombardiert sie mit Anrufen, erscheint unangemeldet in ihrem Büro, überwacht sie förmlich auf Schritt und Tritt, macht sie vor anderen schlecht. Offenbar kann er nicht akzeptieren, dass sie ein eigenes Leben führen will. Stattdessen gefällt er sich in der Rolle des Missverstandenen und Zurückgesetzten.
In diesen Hintergrund lässt sich Angelika Roths Brief leicht einfügen. Ihre Worte lassen erkennen, dass sie in ihrer Verzweiflung die Erniedrigungen hinnimmt und die Schuld auf sich überträgt. Sie schreibt den Hilferuf an sich selbst und versucht, sich mit Tabletten das Leben zu nehmen. Doch ihre
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