Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
Verzweiflungstat führt zu einem heilsamen Schock. Angelika Roth erkennt in dieser Situation, dass nicht sie, sondern ihr Mann beziehungsunfähig ist.
Als sie die Demütigungen und das Selbstmitleid ihres Mannes nicht länger ertragen kann, sucht sie ohne sein Wissen einen Anwalt auf, reicht die Scheidung ein, mietet eine eigene Wohnung und bereitet ihren Auszug vor. Am Tattag fährt sie in ihr Büro, um letzte Vorbereitungen für die mehrtägige Geschäftsreise zu treffen. Hier schreibt sie einen zweiten Brief. Diesmal an Michael Roth. Darin erklärt sie die Ehe für gescheitert und fordert ihren Mann auf, noch vor ihrer Rückkehr von der Geschäftsreise die Wohnung zu verlassen. Diesen Brief fanden wir später zerrissen im Papierkorb in ihrem Büro.
Der genaue Tathergang lässt sich nicht faktisch belegen, doch ich bin mir sicher: Michael Roth sucht Angelika Roth an diesem Vormittag in ihrem Büro auf, und es kommt zur finalen Aussprache. Sie gibt ihm den Brief, den er liest, zerreißt und in den Papierkorb wirft. Als sie nicht einlenkt und sich weigert, ihre Entscheidung zurückzunehmen, schlägt er in schierer Raserei ihren Kopf auf die Schreibtischplatte und erdrosselt sie dann. Getrieben von gekränkter Eitelkeit und Wut. Dann, nachdem der Zorn so weit abgeebbt ist, dass die praktischen Notwendigkeiten in den Vordergrund treten, nimmt er die beiden Schlüssel an sich, schließt die Tote ein, wirft den Büroschlüssel weg und leert in den folgenden Tagen den Briefkasten – nahezu panisch sucht er in ihrer Korrespondenz nach Beweisen für die Untreue seiner Frau.
Sein über den Tod von Angelika Roth hinausgehendes Kontrollbedürfnis – dokumentiert durch den alten abgewetzten Briefkastenschlüssel und die in seiner Wohnung gefundene Geschäftspost – wird Michael Roth in der Gerichtsverhandlung zum Verhängnis. Alle Ausreden schützen ihn nicht vor einer Verurteilung zu elf Jahren Gefängnis wegen Totschlags.
Opfer in einem anderen Fall: Anna Hillmann, 21, Verkäuferin. Agil, lebenslustig und geistig gewandt. Sucht die Abwechslung, geht gerne aus, kontaktfreudig.
Täter: Peter Zettel, 23, zwei Geschwister, wenig frühkindliche Förderung. Sonderschüler mit Abschluss nach zehn Schuljahren. Keine Lehrstelle, ungelernter Hafenarbeiter, zur Tatzeit im Schichtdienst als Wachmann. Verschlossenes Wesen, zurückhaltend, ausgeglichen, hilfsbereit, lehnt Gewalt ab. Bleibt gerne zu Hause und sieht fern.
Anna Hillmann ist für Peter Zettel die erste »richtige Freundin«. Nach ihrer Verlobung ziehen beide in die Souterrainwohnung im Hause seiner Großeltern. Als Anna Hillmann eine Fehlgeburt erleidet, treten erste Spannungen in der bis dahin harmonischen und gewaltfreien Beziehung auf. Die Gereiztheit verstärkt sich, als die junge Frau eine Stelle als Aushilfskellnerin in einer Diskothek annimmt und von jetzt an erst früh am Morgen nach Hause kommt, wenn ihr Verlobter zur Arbeit muss. Sie verliebt sich in den gleichaltrigen Discjockey des Lokals und beschließt bald darauf, sich von ihrem Verlobten zu trennen. Als sie ihm ihre Absicht morgens mitteilt und die Beziehung beendet, ist Peter Zettel entsetzt und hat kein Verständnis für ihre Pläne. Er bittet und bettelt, fleht sie an und versucht, sie umzustimmen. Doch Anna Hillmann bleibt entschlossen und teilt ihren Entschluss auch seiner Oma mit. Sie legt sich schlafen, um danach ihre Sachen zu packen.
Ohne es zu wissen, ist Anna Hillmann mit der angekündigten Trennung ein hohes Risiko eingegangen. Denn bereits mit der Verbalisierung der Trennungsabsicht beginnt für Frauen eine besonders gefährliche Zeit, und zwar unabhängig davon, ob es in der Beziehung zu Gewalt kam oder nicht. Dazu später mehr.
Wenige Stunden nach der Trennung kommt es zwischen den Ex-Partnern zu einem erneuten Streitgespräch. Der ansonsten stille und zurückhaltende Peter Zettel ist völlig überfordert: Er würgt Anna Hillmann bis zur Bewusstlosigkeit, greift nach einem »zufällig« neben dem Bett liegenden Stecheisen und sticht der Wehrlosen ins Herz und in den Unterbauch. Anna Hillmann stirbt nach wenigen Minuten.
Kaum wird Peter Zettel klar, dass er seine Ex-Verlobte getötet hat, will er ebenfalls sterben. Hastig kritzelt er einen Abschiedsbrief, den er mit »Mein Geständnis« überschreibt:
Was ich jetzt schreibe ist die Wahrheit. Ich Peter Zettel habe Anna Hillmann erwürgt aus nur einem Anlass: Ich liebe sie so sehr, dass ich nicht ertragen kann, dass sie mich verlassen
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