Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
Vom Netzwerk:
versorgen. Kates Griff um den Hörer verkrampfte sich. »Ich rufe Sie wieder an, Mr. Hanson, wenn ich bereit bin, über diese Sache zu sprechen. Ich rate Ihnen, mich vorher nicht noch einmal von selbst anzurufen. Ihre Situation ist – vorsichtig ausgedrückt – unsicher.« Seine ethische und rechtliche Situation. Die Gesetze, welche die beiden Teams übertreten hatten, waren Bundesgesetze. Kate brauchte nur die Unterlagen, die das Haus irgendwo verwahrte, ans FBI zu übergeben, um Hanson so viel Schwierigkeiten zu machen, dass er Jahrzehnte brauchen würde, um wieder auf die Beine zu kommen, selbst ohne öffentliche Anklage und Verurteilung.
    Natürlich wäre ihr Vater dann auch am Pranger. Das war der wirksamste Schutz der beiden Teams, wie auch die ganze Zeit zuvor.
    Nachdem sie das Telefon wieder in die Tasche geschoben hatte, erhob Kate sich und sagte dem Pfleger, dass sie in die Kantine gehen würde. Sie zitterte vor Aufregung, sogar in ihrer Oberlippe spürte sie ein Zucken. Der Pfleger tat so, als merke er nichts. Am Fuß des Bettes zögernd, den Blick auf ihres Vaters Gesicht geheftet, sprach Kate ihn im Stillen an. Gibt es noch weitere außer mir, die du dazu aufgebaut hast, gegen ihren Willen deine Helfershelfer zu sein? Wie sie ihren Vater kannte, mochte es noch mehr Videos geben, einen Besuch von einem Eingeweihten, von dem sie bis jetzt nichts wusste, Bestechung oder eine Drohung als Entscheidungshilfe. Vor Hansons Anruf hatte sie sich bloß schuldig und ängstlich zögernd gefühlt. Jetzt erfüllte sie Furcht. Plötzlich begriff sie, wie Hamlet sich gefühlt haben musste, heimgesucht von seines Vaters Geist.
    Der Gedanke daran war eigentlich zum Lachen, aber Kate erschauderte bis ins Mark bei dem Gedanken an das, was kommen mochte.
     
    Nach Hansons Anruf geriet Kate, die sich die ganze Zeit schon wie in einer Art Delirium bewegt hatte, in einen Zustand, in dem sie so gut wie nicht mehr schlief. Als Joel, Jeff und Marjorie sie jeder von sich aus auf ihre Empfindlichkeit ansprach und wie sie aufschreckte, wenn sie einen Anruf bekam, entschuldigte Kate sich damit, dass sie zu wenig Schlaf habe. Die Orte, zu denen ihre Gedanken wanderten, wenn sie schlaflos in der Dunkelheit lag, waren so schrecklich, dass sie sich langsam wünschte, nach Hause zu gehen, um dort, an einen tröstenden Körper gekuschelt, zu schlafen (Jeffs Körper war weicher und damit gemütlicher, aber im Gegensatz zu Joel schnarchte er, sodass Kate in ihrer Phantasie keinem der beiden den Vorzug gab). Aber sie konnte nicht heimgehen. Immer wenn sie ernsthaft darüber nachzudenken anfing, hielt etwas sie zurück. Sie wusste, dass sie im Krankenhaus bei ihrem Vater bleiben musste. Der Grund war ihr nicht klar, aber in ihrem Innern befürchtete sie, etwas Schreckliches könne geschehen, wenn sie es nicht tat. Und vor allem musste sie sofort an der Seite ihres Vaters sein, wenn er erwachte. Er musste wissen, dass sie sich wirklich um ihn gekümmert hatte, selbst wenn sie seinen Plan nicht hatte ausführen lassen. Seit ihrem Besuch in dem Haus träumte sie immer wieder, dass ihr Vater erwachte, während sie irgendwo anders war, weit weg in einer kalten, felsigen Wüste, ohne Fahrzeug oder Telefon oder irgendeine Möglichkeit, sich fortzubewegen außer ihren Füßen und mit weniger als einem Liter Wasser und ohne Nahrung und Zelt.
    Schließlich brachte Jeff ihr Schlaftabletten mit und sagte, er würde sich in dem Raum, den man Kate zum Schlafen zugewiesen hatte, ruhig neben sie ans Bett setzen. »Wie? Und mich dabei beobachten, wie ich nicht schlafen kann?«, fragte sie. »Wer weiß? Vielleicht hilft dir meine Anwesenheit, einzuschlafen«, erwiderte er leichthin. Als Kate weder antwortete noch lächelte, nahm er ihre Hand und sagte langsam und ernst: »Wenn ich bloß wüsste, was los ist! Nein, ich meine nicht, weshalb du die ganze Zeit hier im Krankenhaus verbringst. Da ist noch was anderes, ich spüre es genau. Gibt es denn keinen, dem du genug vertraust, um dich auszusprechen?«
    Seine mit dichten Wimpern umkränzten Augen blinzelten sie gelassen an. Kate schaute ihn an – vielleicht wie Fremde ihn anschauen mochten: Jeans, Hemd mit geknöpftem Kragen, schwarzer gelockter Bart, Hornbrille mit dicken Gläsern, Casio-Uhr. Er sieht mehr wie ein Philosoph aus als wie ein Zellbiologe, dachte sie. Nachdem Jeff und Joel bei ihr eingezogen waren, hatte ihr Vater gesagt, was ihr jetzt noch fehle, sei ein Künstler und ein Investmentbanker, um ein

Weitere Kostenlose Bücher