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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Sägen.«
    Also sägte Dee, und jede Vibration schenkte ihr wilde Freude. Als sie fertig waren, huschten die Aktivisten über die Felder zurück zu den wartenden Wagen. Hinter ihnen breitete sich beißender Gestank über die Reste der sorgfältig angelegten Pflanzung.
     
    »Ich hab ihn gefunden«, sagte Gum.
    Dee wartete gespannt. Gum wiederum ausfindig zu machen hatte sie einige Zeit gekostet, doch schließlich war sie an der Brooklyn Bridge auf ihn gestoßen, wo er in der Basis eines Brückenpfeilers bei einer Horde Krimineller lebte, die mit tragbaren Raketenwerfern irgendeines Typs bewaffnet waren. Wo, zum Teufel, hatten sie die her? Die Dinger sahen nach militärischem Ursprung aus … Dee hätte sich nie im Leben auf ein solches Treffen hier eingelassen, wären nicht zwei ihrer Informanten unabhängig voneinander der Meinung gewesen, dass Gum sich dieser Bande angeschlossen hatte. Einer der beiden hatte Dee – selbstverständlich gegen Überlassung einer größeren Summe – sogar die e-mail-Adresse genannt. Also schickte sie Gum eine e-mail, und zum vereinbarten Zeitpunkt tauchte er an der Brückenbasis auf, so dreckig und debil wie immer.
    Sie saßen hundert Meter von der Brücke entfernt auf einem unbebauten, mit Glasscherben, Lumpen und nicht identifizierbaren Metalltrümmern übersäten Gelände auf alten Packkisten. Ein Elektrokabel schlängelte sich am Straßenrand entlang bis unter die Brücke; zweifellos zapfte es irgendwo eine Leitung mit sündteurem Strom an – so lange, bis die Elektrizitätsgesellschaft draufkommen und die Sache abstellen würde. Aber das war nicht mehr Dees Problem.
    Sie zählte sechs Ratten in zwei Minuten. »Wo ist er?«, fragte sie Gum.
    »Überall. Nirgends. Weg. Un’ zurück. Hunnert Jahr’.«
    »Nicht Gott, Gum! Ich dachte, du hättest Mike gefunden!«
    »Weg und wieder da. Hunnert Jahr’.«
    Dee beherrschte sich. Dieses Zusammentreffen war zu wichtig und zu gefährlich, um es durch Unbedachtsamkeiten zu ruinieren. Sie wartete schweigend.
    Schließlich sagte Gum: »Er sieht Mike. Er sieht mich. Er sieht dich. Er weiß.«
    »Was weiß Er, Gum? Wirst du es mir sagen, damit ich es auch weiß?«
    »Er weiß, dass Mike es nich’ getan hat. Die Pflanzen.«
    »Mike hat meine Schwester nicht zu diesem Schiff mit den illegalen Gentech-Pflanzen gebracht?«
    »O ja. Preiset den Herrn.«
    »Also dann hat Mike Perri doch zu dem Gentech-Schiff gebracht?«
    »O ja«, sagte Gum, während ihm das Wasser aus den altersschwachen Augen lief. »Weg. Un’ zurück.«
    »Er brachte sie zu dem Schiff und schickte sie wieder zurück. Aber wo ist Mike jetzt?«
    »Gott sieht alles.«
    Dee legte die Hände auf die Knie und beugte sich vor. Wieder lief eine Ratte über den Platz. Bei der Brücke stand ein Mann mit einem Gewehr, die Augen unverwandt auf Dee gerichtet. »Gum, was machst du bei diesen Leuten in der Brücke?«
    »Hunnert Jahr’. Gradewegs zu Gott.«
    »Du bist ihr Priester«, stellte Dee fest. Es schien ihr nicht sehr wahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Seit der Krise waren die seltsamsten Religionen wie Pilze aus dem Boden geschossen: um die neue Unwirtlichkeit der Erde zu erklären, um für die neue Unwirtlichkeit der Erde Buße zu tun, um in der neuen Unwirtlichkeit der Erde Hoffnung zu finden – jede Menge Quatsch. Wie es schien, konnten selbst Kriminelle an Gott glauben. An irgendeine Art von Gott, jedenfalls. Und es konnte durchaus erklären, was Gum – alt, sabbernd und schwach auf den Beinen – mit diesen bestens ausgerüsteten Gewalttätern aufführte, bei deren Anblick, offen gestanden, Dee sich vor Angst fast in die Hosen machte. Ein priesterlicher Status mochte die Erklärung sein. Oder auch nicht.
    Gum sagte: »Er hat’s nich’ getan.«
    »Gott?«
    »Mike.«
    »Was hat Mike nicht getan, Gum?« Sie bewegten sich im Kreis!
    »Er war’s nich’, der dir die Pflanze in die Wohnung geschickt hat, um dich umzubringen.«
    Dee hielt den Atem an. »Weißt du, wer es getan hat?«
    »Die anderen. Hunnert Jahr’.«
    »Gum, welche anderen? Wer hat mir die Pflanze geschickt, die mich umbringen sollte?«
    »Blick auf zu Gott«, sagte Gum und rappelte sich auf die Füße.
    Dee stand auf und packte ihn am Arm. »Du kannst jetzt nicht gehen! Du musst doch noch fertig erzählen!«
    Der Alte versuchte, sich loszureißen, und die Wache drüben an der Basis des Brückenpfeilers hob das Gewehr. Hastig zog Dee die Hand von Gums Arm weg. Als er davonwatschelte, rief sie ihm nach:

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