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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Küchenschaben. Nur offizielle Einsatzfahrzeuge für alle Notlagen waren davon ausgenommen, aber dieser kraftstrotzende, schnittige Wagen war kein Einsatzfahrzeug.
    Sie fuhren durch die leeren, mit Schlaglöchern übersäten Straßen, Victor und Dee auf den Rücksitzen und der Fahrer vorne, auf der anderen Seite der dunklen Scheibe und nicht zu erkennen.
    Victor zog ihr das Klebeband vom Mund. »Dee, niemand wird Ihnen etwas tun.« Ach ja, und das würde sie ganz gewiss glauben. »Ich möchte Ihnen nur etwas zeigen.«
    »Wozu?«
    »Gute Frage. Weil ich Verschwendung hasse, vermutlich. Sie verschwenden Ihre Zeit mit Überfällen auf illegale Gentech-Pflanzungen, mit dem Bombardement unfähiger Behörden und mit der Ausgabe der Parole, dass Ihre Zuträger in ganz Manhattan Ausschau nach mir halten sollen. Sind diese Fußfesseln unangenehm eng für Sie?«
    »Nein. Es ist Perris Zeit, die hier verschwendet wird.«
    »Was mir aufrichtig Leid tut. Es gab nie die Absicht, sie fälschlich vor Gericht zu bringen. Ich hatte keine Ahnung, dass sie eine Gentech-Pflanze mitnehmen würde.«
    »Sie haben nur auf ihren Embryo Wert gelegt«, bemerkte Dee.
    »Ja. Es ist das beste Material für gentechnische Arbeiten an menschlichem Gewebe, wissen Sie. Stammzellen sind formbar, die Amnionhöhle bietet die besten Voraussetzungen für das Heranwachsen von Organen, die Plazenta … Aber ich glaube nicht, dass Sie an den wissenschaftlichen Einzelheiten interessiert sind. Es hätte für beide Seiten von Nutzen sein sollen: Perri wollte eine Abtreibung, ich wollte das Gewebe.«
    »Um ›Pflanzenkunst‹ zu schaffen, die ihre Augen hat!«
    »Nein«, widersprach Victor. »Diese Art von dekorativen Perversitäten gehört nicht zu meinen kreativen Hobbies. Ich verkaufe das Embryonalgewebe nur, und zwar an jeden, der gut dafür bezahlt. Unsere wirkliche Arbeit ist sehr kostenintensiv. Nein, stellen Sie jetzt keine Fragen. Ich möchte, dass Sie es mit eigenen Augen sehen.« Und dann lehnte er sich verblüffenderweise in eine Ecke des Wagens und schlief ein.
    Dee probierte die Tür, ihre Fesseln, den Sitzgurt. Nichts davon gab nach. Victor schnarchte leise. Es wäre ihr gewiss gelungen, mit beiden Füßen nach ihm zu treten, aber festgezurrt und eingeengt, wie sie war, hätte sie nicht mehr zustande gebracht als einen völlig sinnlosen, weil viel zu kraftlosen Knuff. Sie sah Victor an. Seine nunmehr schlaffen Gesichtszüge ließen ihn jetzt merkwürdigerweise deutlich älter aussehen. Irgendwo zwischen vierzig und fünfzig. Trotz aller Wut und Angst beschäftigte Dee die Person dieses Mannes. Irgendetwas an ihm wollte nicht recht dem gängigen Bild entsprechen: Er wirkte so gar nicht wie die üblichen Kriminellen, denen Dee in ihrer polizeilichen Laufbahn so zahlreich begegnet war – und auch nicht wie einer dieser glattzüngigen Soziopathen, denen nichts den Schlaf rauben konnte.
    Der Wagen hielt an. Victor wachte auf und trug Dee über einen verlassenen Pier, an dessen Ende ein ferngesteuertes Boot lag, das kaum groß genug für sie beide war. Victor machte die Leinen los, drückte die Taste der Fernbedienung, und im nächsten Moment fegte das Boot schon lautlos über das schwarze Wasser.
    Der Nachthimmel war bewölkt. Dee konnte einige Lichter in der Ferne sehen, aber sie hatte keine Ahnung, was sie zu bedeuten hatten. Schiffe? Land? Bojen? Es war windig, und die See wurde kabbelig. Wasserspritzer klatschten ins Boot. Dee merkte, dass sie seekrank wurde.
    Victor musste die Anzeichen erkannt haben; fachgerecht hielt er ihren Kopf über die Bootswand, als sie sich übergab.
    »Beinahe geschafft!«, schrie er, um den Wind zu übertönen. Dee übergab sich noch mal.
    Als sie endlich bei einem – wie Dee schien – riesigen, völlig dunklen Schiff angekommen waren und längsseits gingen, sah es so aus, als hätte sich der Sturm nun zum ernsthaften Loslegen entschlossen. Ein Metallkorb wurde herabgelassen und Victor verfrachtete Dee hinein. Wie sie dieses Gefühl des Ausgeliefertseins hasste! Sie hätte es beinahe vorgezogen, eins verpasst zu bekommen und den ganzen Vorgang weggetreten zu überstehen, statt hilflos zappelnd hochgehievt zu werden wie ein fetter Fang Makrelen oder Kabeljau!
    Ihr Wunsch ging in Erfüllung. Jemand an Deck beugte sich über den Metallkorb und klatschte Dee ein Pflaster an den Hals. Keine Chance, es wegzureißen. Nach zehn Sekunden verschwand alles rundum.
     
    Dee erwachte in einer engen Kabine; sie verspürte kein

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