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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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längste monotone Melodie zu schlagen. Meine Augen hatten sich in der Zwischenzeit an die Dunkelheit gewöhnt, oder war es im Raum vielleicht doch heller geworden?
    Ich sah ihn direkt vor mir. Er stand breitbeinig da, seine Hände auf dem Rücken verschränkt.
    Er war ganz in Schwarz gekleidet. Auf dem Kopf trug er eine schwarze, spitz zulaufende Kappe mit ausgeschnittenen Löchern in Augenhöhe. Er schwieg. Ich tat den Mund auch nicht auf. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Es wurde kalt und in meinen Ohren dröhnte es. Er begann als Erster zu sprechen. Nein, er sprach nicht normal, er flüsterte vielmehr laut. Seine Stimme erinnerte an das Gekreisch eines Aasgeiers.
    »Warum hast du mich gerufen?«
    Es dauerte eine Weile, bis ich darauf antworten konnte. Ich musste meine ausgetrocknete Kehle befeuchten und meinen Atem beruhigen.
    »Ich möchte meine Seele verkaufen.«
    Ich sah sein Gesicht nicht, aber ich wusste, dass ein Grinsen um seinen Mund spielte.
    »Zeig sie her«, verlangte er.
    Er nahm sie von mir und betrachtete sie, indem er sie gegen das ins Zimmer hereinfallende Licht hielt. Die Wolken hatten sich verzogen, und der bleiche Mond schien wieder. Jetzt konnte ich ihn genauer sehen. Er war hager und groß, viel größer als ich. Eine dicke Silberkette mit einem Anhängsel in Form eines Fischskeletts hing um seinen Hals. Er hatte schwarze dünne Handschuhe an. Er hielt meine Seele hoch und untersuchte sie sorgfältig.
    »Sie ist fast neu«, sagte ich.
    Er wandte sich mir zu, und ich konnte mich erneut des Eindrucks nicht erwehren, dass er grinste.
    »Neu«, raschelte er, »aber das linke Handgelenk scheint mit etwas aufgeschlitzt worden zu sein.«
    »Ich habe keine andere«, erwiderte ich.
    Aus seiner Kehle drang ein krächzendes Lachen. Er legte die Seele so auf den Tisch, dass ihre Beine den Fußboden berührten.
    »Was willst du für sie haben?« Seine Stimme ähnelte jetzt dem Zischen eines hungrigen Reptils oder dem Geraschel eines brennenden Ameisenhaufens.
    »Ich brauche einen Dolch, mit dem ich jeden töten kann. Er muss die Haut eines Gürteltiers und eine kugelsichere Weste durchdringen können. Er muss Vampire und Gespenster töten können. Vor ihm darf keine Seele, weder Engel noch Gott, wenn ich ihn mal treffen sollte, sicher sein können. Nur du bist im Stande, ihn mir zu liefern.«
    Meine Angst war verflogen. Ich sprach langsam und deutlich.
    Er schwieg und dachte nach.
    »In Ordnung. Du wirst ihn bekommen«, sagte er nach einer Weile, »aber deine Seele ist ein zu niedriger Preis dafür. Du musst noch was drauflegen.«
    Seine Worte erschreckten mich. All die Bemühungen, all diese in den Bibliotheken voller Spinnengewebe über den fürs Feuer bestimmten Büchern verbrachten Nächte! Und die darauf folgende riesengroße Angst! Sollte sich all das nun als vergeblich erweisen? Nein, ich wollte mich damit nicht abfinden.
    »Was willst du noch? Dass ich etwa den Papst erschieße?«, schrie ich fast.
    »Du wirst den Dolch bekommen. Doch du wirst ihn innerhalb eines Jahres benutzen müssen. Egal gegen wen. Sonst wird er verschwinden, und deine Seele wird mir trotzdem gehören. Das ist meine Bedingung.« Die einzelnen Worte entwichen aus ihm wie das Gas aus einer Flasche gärenden Weins. Ich atmete erleichtert auf. Dieser Bedingung konnte ich zustimmen. Ich nickte.
    Unter dem Mantel holte er eine Pergamentrolle hervor und breitete sie auf dem Tisch aus. Er hielt mir ein kleines Messer mit einem Holzgriff hin und wies auf mein Handgelenk.
    »Du hast schon Erfahrung damit«, krächzte er.
    Ich blickte auf mein Handgelenk, auf die schmalen weißen, parallel verlaufenden Narben. Im Dunkel konnte ich sie nicht sehen, doch ich wusste, dass sie da waren. Ich hatte sie vor meinem geistigen Auge. Ich ergriff das Messer und machte einen neuen, diesmal aber leichten Einschnitt in die Hand. Ein paar dunkle Tropfen sickerten aus der Haut.
    »Ich liebe diesen Geruch«, sagte er und tauchte die Spitze der Rabenfeder ins Blut ein. Dann reichte er sie mir. Ich kritzelte meinen Namen auf das Pergament und führte das juckende Handgelenk an den Mund. Das unterzeichnete Dokument las ich gar nicht. Es war zu dunkel, und ich wusste, dass er mich nicht hintergehen konnte. Nachdem das Blut getrocknet war, rollte er das Pergament wieder ein und verstaute es auf seiner Brust.
    »Den Dolch wirst du heute in einer Woche geliefert bekommen. Ich werde selbst kommen. Was den Preis angeht, so werde ich ihn fordern, wenn es soweit

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