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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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und dem Golf von Carpentaria lagen, vor sich hinrotteten, auch wenn er es nicht aussprach. Wissen ist Macht, so sagt man, doch mein Wissen um die tatsächlichen Gegebenheiten machte mich eher hilflos. Was wäre, wenn ich wirklich in die Geschichte eingreifen würde? Könnte ich es überhaupt, oder gäbe es eine übergeordnete Macht, die mich daran hinderte? Und wenn es eine solche Kontrollinstanz wirklich gab, was hatte ich dann überhaupt hier verloren. Meine Existenz im Jahre 1861 hier an diesem Ort und nicht in der Antarktis, wo ich ohne Schaden anzurichten binnen Stunden erfroren wäre, bewies doch eigentlich das Gegenteil. Veränderte sich die Geschichte durch solche Zufälle vielleicht dauernd, und wir mit ihr, ohne es überhaupt zu bemerken? Gab es vielleicht eine Parallelwelt, in der Burke nicht am Cooper Creek gestorben ist und ich derjenige bin, der ihn gerettet hat? Ich hatte genau zehn Tage, um mir darüber klar zu werden. Zum Glück wusste nur ich, dass ich Burke retten konnte. Also war es eine Entscheidung, die ich mit mir und der Geschichte treffen musste.
    Die erbosten Schreie der Kakadus schreckten mich aus meinen Überlegungen. Auch mein Gegenüber hatte stumm vor sich hinstarrend die Bahnen seiner Gedanken ausgelotet. Für Brahe war es die Ungewissheit und die Last der Entscheidung, die er in absehbarer Zeit für Patton und gegen das Fünkchen Hoffnung für Burke treffen musste. Perdy und Jonathan kamen von erfolgloser Jagd zurück. Sie ließen sich neben Patton in den Schatten des großen Koolibah-Baums sinken, der in meiner Zeit als Dig-Tree auf den Karten verzeichnet sein würde. Brahe stand auf und ging zu ihnen hinüber, während ich damit begann, meine Habseligkeiten wieder in die Kisten und auf die Ladefläche des Pickups zu verstauen. Ich zurrte die Plane fest, nahm mein Gewehr und gesellte mich zu ihnen. Viel mehr war nicht zu tun.
    »Kein Stock Wild da«, hörte ich Perdy sagen, als ich mich ihnen bis auf ein paar Schritt genähert hatte. »Die Wilden müssen alles weggejagt haben.« Keiner der drei anderen sagte etwas dazu. Patton stöhnte leise, wenn er versuchte, seine Haltung zu verändern. Ich hatte mir sein Bein angesehen. Selbst ohne Arzt zu sein, konnte man mit ziemlicher Gewissheit sagen, dass der Knöchel gebrochen war. Das Gelenk war dick angeschwollen und ein böse aussehender Bluterguss zog sich bis fast zum Knie herauf. Zum Glück war der Bruch nicht offen, doch der ebenfalls angeschwollene Fuß, dessen Haut so gespannt war, dass man meinte, sie müsse jeden Moment platzen, würde wahrscheinlich nicht mehr zu retten sein. Ich hatte in meinem Verbandskasten nachgesehen, was in der Erste-Hilfe-Broschüre für diesen Fall vorgesehen war und dann seinen Knöchel mit den ausziehbaren Metallschienen fixiert. Patton hatte zwar versucht, die Zähne zusammenzubeißen, aber nach kurzer Zeit war sein heftiges Stöhnen in einen markdurchdringenden Schrei übergegangen. Danach ging es allerdings besser und ein Übriges taten die zwei Schmerztabletten, die ich ihm gegeben hatte. Sie bewirkten auf jeden Fall mehr als die nassen Lappen, die um seinen Fuß gewickelt wurden. Von diesem Moment an wurde ich von Brahe, dessen Verband ich inzwischen auch erneuert hatte, und seinen Männern respektvoll Doc genannt.
    Anscheinend hatte die letzte Tablette ihre Wirkung verloren, denn Patton schaute mich mit trüben Augen an. Er musste nichts sagen. Unglaublich, dass der Mann schon fast zwei Wochen diese Schmerzen ohne jede Möglichkeit der Linderung ertragen hatte. Ich stellte mein Gewehr an den Baum und holte einen weiteren der kleinen, weißen Heilsbringer. Ironie des Schicksals war, dass sie, bei zwei Tabletten täglich, genau bis zum einundzwanzigsten April reichen würden. Ein Datum, das für mich allmählich zum Menetekel wurde. Nachdem ich ihm die Tablette verabreicht hatte, nahm ich den Eimer mit lauwarmem Wasser und den darin befindlichen Tuchfetzen und ging hinunter zum Flusslauf. An einer sandig flachen Stelle watete ich ein Stück in den Creek, wusch die Lappen, mit denen Pattons Bein gekühlt wurde, aus und versuchte so tief wie möglich frisches Wasser zu schöpfen. Als ich mich wieder aufrichtete, sah ich die kleinen, fast schwarzhäutigen Gestalten am anderen Ufer. Sie blickten bewegungslos zu mir herüber. Vor Schreck ließ ich den Eimer fallen, erwischte ihn aber mit einer schnellen Bewegung wieder, bevor er im Fluss versinken konnte. Unter ihren Blicken wich ich Schritt für

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