Auf der Straße nach Oodnadatta
das Ganze abgelaufen war, aber ich sah seine weißen Knöchel beim Umklammern seines Stabes.
Für Menschen wie mich, die aus einer friedlichen, wohlgeordneten Gesellschaft kommen, ist Gewalt in dieser Form unvorstellbar.
Ich habe Kämpfe gesehen, und sie haben mir Angst gemacht, aber ich habe noch nie selbst Erfahrung gemacht mit der Art von Gewalt, wie der Allerhöchste sie beschrieb, wo Menschen aus reiner Willkür andere Menschen umbringen. Ich sah die Überlebenden – schmutzig, müde, verängstigt, sehr still –, aber ich konnte nicht sehen, was ihnen angetan worden war. Deshalb konnte ich es nicht wirklich glauben. Und obwohl ich mich dort oben auf dem Berg vor dem Hubschrauber versteckt hatte, konnte ich einfach nicht glauben, dass er tatsächlich diese großen Schießklappen tatsächlich über mir geöffnet hätte, und ich konnte jetzt auch nicht glauben, dass die Leute, die Menengai angegriffen hatten, diese Kenianische Befreiungsarmee, deren einziger Sinn darin bestand, Chaga-Bewohner zu töten, ihr Leben zu zerstören, irgendwo da draußen waren, wahrscheinlich aus der Luft mit Nachschub versorgt, ihre Waffen nachladend, auf der Suche nach neuen Angriffszielen. Das kam mir einfach falsch vor an einem Ort wie diesem, der so ruhig und heilig war … wie eine giftige Schlange in einem schönen Garten.
Meji und Ten glaubten es. Sobald es möglich war, trieben sie uns weiter.
»Wohin jetzt?«, fragte ich Ten.
Ihr Gesicht drückte Unsicherheit aus.
»Nach Osten. Die Schwarzen Simbas haben einige Siedlungen auf dem Kirinyaga Sie werden sie verteidigen.«
»Wie weit?«
»Drei Tage?«
»Die Frau da hinten, Hope, sie ist bestimmt nicht fähig, noch viel länger weiterzulaufen.« Ich hatte mit ihr gesprochen, sie war hochschwanger. Im achten Monat, schätzte ich. Sie sprach kein Wort englisch, und ich konnte nur ein bisschen Aid-Agency-Suaheli, aber sie schätzte meine Gesellschaft, und für mich war ihr dicker Bauch eine Bestätigung, dass das Leben stark war, dass es weiterging.
»Ich weiß«, sagte Ten. Sie mochte in ihrer Kampfausrüstung stecken und den Stab und ein Gewehr an der Hüfte tragen, aber sie sah sich Entscheidungen ausgesetzt, die ihr mit aller Deutlichkeit sagten: Du bist immer noch ein Teenager, kleine Kriegerin.
Wir schlängelten uns zwischen den gewaltigen Wurzeln der riesigen Bäume hindurch. Die Kugeln an den Spitzen der Stäbe warfen ein sanftes gelbes Licht – Biolumineszenz, wie mir Ten erklärte.
Wir folgten den hüpfenden Lichtern durch den dunklen, tropfenden Mauer-Wald. Das Gelände stieg an, allmählich und stetig. Ich wurde etwas langsamer, um neben Hope herzugehen. Wir unterhielten uns. So verging die Zeit. Die Mauer wurde jäh von einem Ökosystem aus Pilzen abgelöst. Rote Fliegenpilze ragten bis über meine Kopfhöhe auf, Boviste bestäubten mich mit gelben Sporen, trompetenförmige Pfifferlinge vergossen Wassertropfen aus ihren Hüten, Gruppen von Pilzen mit stecknadelgroßen Hütchen schimmerten fahl wie Leichen. Ich sah Affen, die uns aus dem Laub heraus beobachteten.
Wir befanden uns jetzt in großer Höhe und kletterten über die Grate, die wie Finger einer gespreizten Hand aussahen. Hope erzählte mir, dass ihr Mann bei dem Überfall auf Menengai getötet worden war. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Dann fragte sie mich nach meiner Vergangenheit. Ich erzählte sie ihr in meinem schlechten Suaheli. Die Pfade führten uns immer höher hinauf.
»Ten.«
Wir legten eine Rast ein, um ein Abendessen zu uns zu nehmen. Das war die eine Seite des Chaga, man musste niemals hungern. Man brauchte nur die Hand auszustrecken, und sofort war alles, das man berührte, essbar. Ten hatte es mir so beschrieben: Wenn du deine Scheiße vergräbst, dann ist am nächsten Morgen ein wohlschmeckendes Knollengewächs daraus gewachsen. Bis jetzt hatte ich noch nicht den Mut aufgebracht, es zu versuchen. Für eine fremdweltliche Invasion schien das Chaga auf bemerkenswerte Weise auf menschliche Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen.
»Ich glaube, Hope ist schon um einiges weiter, als wir angenommen haben.«
Ten schüttelte den Kopf.
»Ten, wenn die Wehen losgehen, wirst du dann anhalten?«
Sie zögerte einen Augenblick.
»Also gut, wenn es soweit ist, legen wir eine Rast ein.«
Sie kämpfte sich zwei Tage lang weiter, hinunter in ein Tal, durch ein schrecklich schwieriges Gelände mit großen Kugeln aus giraffenartig gemustertem Moos, dann wieder hinauf, in ein höheres Gebiet,
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