Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Steinbeck vor fast einem halben Jahrhundert. So weit ist es längst gekommen. In den Fünfziger Jahren wurden die ersten Interstates – Autobahnen – in den USA gebaut, übrigens auch als Teil des nationalen Verteidigungsplans der Vereinigten Staaten. Der damalige Präsident Dwight D. Eisenhower, der als General im Zweiten Weltkrieg von den deutschen Autobahnen und ihrem militärischen Nutzwert beeindruckt war, gilt als Vater des Straßennetzes. Selbstverständlich würde der Verkehr ohne diese neuen Achsen inzwischen vollständig zusammenbrechen. Aber ich nehme mir vor, sie künftig so selten wie möglich zu benutzen. Man sieht eben wirklich wenig.
In Freeport wird es dann spannend. Ich möchte zum Hafen, um einen Hummerfischer zu finden, mit dem ich reden kann. Der Hummer aus Maine gilt als der beste der Welt – aus meiner, allerdings begrenzten, Erfahrung heraus, kann ich nur sagen: er ist es! –, aber ich weiß gar nichts über die Lebensbedingungen der Fischer. Das lässt sich ja ändern. Wenn man erst einmal zum Hafen gefunden hat.
Steinbeck wurde von einem Mann aus Maine geraten, niemals einen Einheimischen nach dem Weg zu fragen. Der habe gesagt: »Wir finden es irgendwie lustig, die Leute in die Irre zu schicken, und dabei lächeln wir nicht, aber wir lachen innerlich. Das ist unsere Natur.« Bisher habe ich das für eine nette Anekdote gehalten. Inzwischen weiß ich: Es war ein guter Rat. Ich gehöre ohnehin zu den Leuten, die sich in einer Telefonzelle verfahren können – sich darin zu verlaufen, schaffen viele, fürs Verfahren braucht man besondere Gene –, aber die Bewohner von Maine würden bei ihrem Regionalsport sicher auch mit größeren Herausforderungen fertig, als ich eine bin.
Eigentlich werde ich durchaus misstrauisch, als ein aufrecht und solide wirkender Bürger mir sagt, ich solle vor dem Indianer rechts abbiegen. Aber als dann wenig später tatsächlich ein überdimensional großer Holzindianer auftaucht, bin ich beruhigt und folge den Anweisungen. Das hätte ich nicht tun sollen. Viele Kilometer weiter schickt mich ein anderer Bürger unbewegten Gesichts zurück – zu Recht –, erwähnt aber nicht, dass ich zum Hafen irgendwann links abbiegen muss. Als ich wieder bei dem Indianer angekommen bin, schenkt mir ein mitfühlendes Ehepaar eine Touristenkarte von Freeport. Offenbar stammen auch die Zeichner dieser Karte aus Maine. Nicht einmal Kolumbus hätte damit den Hafen erreicht. Na gut, der sowieso nicht. Der glaubte ja bis an sein Lebensende, er habe Indien gefunden.
Wahrscheinlich ist das alles Unfug, wahrscheinlich stimmten sowohl alle Anweisungen als auch die Karte und ich war nur unfähig, ihnen zu folgen. Aber mich tröstet der Gedanke, dass es nicht an mir, sondern an den Einwohnern von Maine gelegen hat. Irgendwann bin ich dann doch am Hafen. Und Kirk Olsen ist bereit, mich am nächsten Tag in Buck´s naked BBQ zu treffen.
Der 39-Jährige ist gut aussehend und muskulös. Er wirkt fröhlich, selbstbewusst und ein bisschen oberflächlich. Am Nachbartisch in »Buck´s nacktem Grillfest« sitzt sein jüngerer Bruder Mark mit seiner Freundin und einem Freund. Die Stimmung ist gelöst, von Zeit zu Zeit wird hin und her geblödelt: »Oh, ein Interview. Wirst du jetzt berühmt?«, frotzelt Mark. »Nein«, antwortet Kirk. »Das ist nur eine deutsche Journalistin.« Nur. Was für eine aufbauende Bemerkung. Alle lachen.
Kirk und Mark sind beide Hummerfischer. Dem Großvater, einem dänischen Seekapitän, hätte das wahrscheinlich gefallen. Dem Vater gefiel die Berufswahl nicht. Er hätte es lieber gesehen, wenn die Söhne in die Fabrik gegangen wären. So wie er es getan hat. Da bekommt man regelmäßig seinen Lohn und ist krankenversichert. Aber als Kirk zwölf Jahre alt war, wurde die Firma, in der sein Vater arbeitete, verkauft – und alle Angestellten wurden entlassen. Danach musste er sich als Vertreter für Kanalisationsrohre durchschlagen. »Er hat nicht viel darüber geredet«, sagt Kirk Olsen und wirkt plötzlich gar nicht mehr lustig und oberflächlich. Sondern sehr ernst. »Aber es war einfach zu spüren, dass er Angst hatte. Die ganze Sicherheit war weg.«
Angst hat der Vater immer noch – jetzt um seine Söhne. »Es ist ein gefährlicher Beruf, vor allem im Winter«, erklärt Kirk. »Die Wellen sind hoch und das Wasser ist so kalt, dass man darin höchstens drei oder vier Minuten überleben kann. Wegen des Schocks und wegen des Gewichts der Kleidung.« Der
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