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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Gaus
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Hummerfischer hat Schutzanzüge an Bord, die er und sein Kollege anlegen, aber nur, wenn das Boot beschädigt ist. Sonst würden sie bei der Arbeit behindern.
    Es ist ein hartes Brot. Vier Dollar werden derzeit für das Pfund Hummer von Großhändlern und Restaurants gezahlt. Kirk Olsen holt durchschnittlich 400 Pfund Hummer am Tag aus dem Meer, das ist eine Menge. Aber die Nebenkosten sind hoch: »600 Dollar kostet es mich jedes Mal, wenn ich rausfahre.« Der Köderfisch für die Fallen ist teuer, auch das Benzin. Der Angestellte, mit dem Kirk zusammen aufs Meer hinausfährt, bekommt im Sommer 150 Dollar am Tag, im Winter 200. Außerdem müssen die Raten für das zwölf Meter lange Boot, das er vor fünf Jahren für 70000 Dollar gekauft hat, bezahlt werden. Etwa 45000 Dollar bleiben ihm als Jahresverdienst übrig, schätzt der Fischer.
    Das ist mehr als der Durchschnittsverdienst in Maine, der derzeit bei 30000 Dollar liegt. Aber Luxus kann man sich davon nicht leisten. Hier oben im äußersten Nordosten der USA herrscht nicht derselbe Reichtum wie in den anderen Neuengland-Staaten. Maine ist der am dünnsten besiedelte Staat östlich des Mississippi, seine Fläche ist zu 90 Prozent von Wald bedeckt. Im nationalen Vergleich der Einkommen liegt Maine auf Platz 29. Unteres Mittelfeld.
    Immerhin: Kirk Olsen muss sich nicht um eine Krankenversicherung kümmern, die läuft über seine Frau, die bei einer Versicherungsfirma arbeitet. Aber es gibt für ihn auch kaum Möglichkeiten, sein Einkommen zu steigern. Um ein Überfischen zu verhindern, darf ein Hummerfischer in Maine seit einigen Jahren nur noch höchstens 800 Fallen haben. Die Hälfte davon überprüft Kirk Olsen täglich auf einen Fang, indem er die Falle jeweils mit einem langen Seil aus dem Meer holt. Ein Knochenjob.
    Früher hatte er schon mal 1100 Fallen, deshalb bedeutete die neue Regelung für ihn einen Verlust. Aber er hält sie dennoch für richtig. Zu groß ist seine Sorge, dass es eines Tages gar keine Hummer mehr gibt: »Der Typ in New Jersey, von dem ich mein Boot gekauft habe, hat mir erzählt, dass er nichts mehr fängt.« In den südlichen Staaten sei die Bevölkerungsdichte sehr hoch, und die ins Meer geleiteten Abwässer seien mit Chemikalien verunreinigt. »Er sagte, in dem Wasser sei so viel Chemie, dass auf den Bojen nicht mal mehr Algen sind, und die sind nun wirklich anspruchslos.«
    Halten sich denn die Kanadier auch an dieselben Vorschriften wie die Fischer in Maine? Sonst nützen diese Vorschriften ja nicht viel. Kirk Olsen lächelt maliziös. Dann fragt er seinen Bruder. »Darauf warten wir noch«, meint der trocken. »Na ja, das Problem ist eigentlich nicht, dass sich kanadische Kollegen nicht an die Gesetze halten«, erklärt Kirk schließlich. »Sie haben einfach andere Gesetze. Nicht weniger strenge, sondern andere. Sie erlauben das Fischen zum Beispiel nur während einer bestimmten Saison, ich kann das ganze Jahr fischen. Dafür dürfen die Kanadier aber manchmal mit riesigen Netzen fischen, das dürfen wiederum wir nicht.« Heben sich die ganzen Schutzgesetze dann nicht gegenseitig auf? Kirk Olsen zuckt die Achseln. »Schon. Die Regierungen müssten sich halt endlich einigen. Aber sie schaffen es nicht.«
    Der Hummerfischer hält nicht viel von Regierungen und überhaupt von Politikern. »Politik erinnert mich an eine Seifenoper. Ich hasse Seifenopern.« Wahrscheinlich dürfe er sich über nichts beklagen, weil er meist ja nicht einmal zur Wahl gehe. »Ich will davon einfach nicht belästigt werden. Es gibt so viele Dinge, mit denen ich meine Zeit lieber verbringe als mit politischen Streitereien. Mit meiner kleinen Tochter spielen, die ist jetzt zwei. Oder auf die Jagd gehen. Überhaupt alles, was man draußen im Freien machen kann.«
    Kirk Olsen schweigt. Etwas scheint in ihm zu arbeiten. Dann gibt er sich einen Ruck und erzählt, dass seine Eltern geschieden seien. Seine jüngere Schwester sei im Alter von 19 von einem betrunkenen Autofahrer getötet worden. Beide Ereignisse hätten ihn geprägt. Er könne Zank und Streit und Diskussionen und Drama einfach überhaupt nicht mehr ertragen. »Ich habe das satt. Ich will ein Leben ohne Komplikationen – und ohne Konflikte.« Ein Leben ohne Komplikationen und Konflikte: Ja, das ist es. Dieser Wunsch des Sohnes von dänischen Einwanderern ist wohl auch die Sehnsucht gewesen, die einst die Vorfahren der heutigen Bewohner von Neuengland in die Neue Welt gebracht hat. Vieles haben sie

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