Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Autoaufklebern und in dem Transparent auf der Brücke zum Ausdruck kommt.
Wenn die Haltung zum Irakkrieg nämlich auf die Frage reduziert wird, was dieser Krieg für die US-Soldaten bedeutet, dann wird die Bevölkerung des Kriegsgebiets – obwohl sicherlich ungewollt – zu einer nicht mehr identifizierbaren anonymen Masse von Statisten degradiert. Ich habe mit Susan Avellar lange auf der Terrasse des Holzhauses gesessen und wir haben noch über viele andere Themen gesprochen als über die Entwicklung von Provincetown. Auch über Krieg und Frieden.
Sie sei immer sehr froh gewesen, Amerikanerin zu sein, sagte Susan. Die Meinungsfreiheit und die Rechtssicherheit in ihrem Land bedeuteten ihr viel. Sie war eine Gegnerin des Vietnamkrieges, sie war von Anfang an eine Gegnerin des Angriffs auf den Irak. Aber sie findet, dass militärische Stärke eine notwendige Voraussetzung dafür sei, die demokratischen Errungenschaften verteidigen zu können. »Ich verstehe, was wir in Afghanistan tun.«
Da ist sie mir weit voraus. Ich verstehe es nicht. Ganz unabhängig von der Frage, ob man Krieg für ein legitimes Mittel der Politik hält: Es scheint doch ganz einfach nicht zu funktionieren. Die Ziele, die in Afghanistan erreicht werden sollten, werden nicht erreicht. Von Frieden ist dieses Land weit entfernt.
Bei NATO-Angriffen werden immer wieder auch Zivilisten getötet, was neue Hassgefühle gegen die USA schürt. Teile Pakistans sind für islamische Fundamentalisten ein relativ sicheres Rückzugsgebiet. Die Ereignisse in Afghanistan haben dieses Nachbarland in den letzten Jahren destabilisiert und den Einfluss der Islamisten auf die Gesellschaft wachsen lassen. Das ist gerade im Hinblick auf eine Atommacht eine verstörende Entwicklung. Fürchtet Susan nicht, dass durch die militärischen Angriffe ausgerechnet jene Kräfte gestärkt werden, die man zu schwächen wünscht?
Susan schüttelt auf diese Einwände hin nur den Kopf. Und erzählt von der Schockstarre, in die Provincetown am 11. September gefallen sei: »In der ganzen Stadt war kein einziger Laut zu hören.«
In ungezählten Kommentaren, Reportagen und Analysen habe ich gelesen, dass niemand die Tiefe der Erschütterung über die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon jemals ganz wird nachvollziehen können, der nicht aus den USA stammt. Ich habe das intellektuell immer nachvollziehen können. Aber hier auf der Terrasse am Ufer des Atlantiks spüre ich zum ersten Mal auch emotional, dass es stimmt. Diese 60-jährige Demokratin, die ihr Leben lang Kriegsgegnerin gewesen ist, die für die Beachtung der Menschenrechte eintritt und für eine liberale Gesellschaft: sie ist nicht erreichbar für Argumente. Sie will sie nicht einmal widerlegen – sie will sie gar nicht erst hören. Zu tief sitzt das Entsetzen über den Angriff auf eine für unverwundbar gehaltene Heimat. Auch heute noch, sechs Jahre später.
Man kann das falsch finden. Man kann es ärgerlich, auch gefährlich finden. Man kann es ungerecht finden angesichts von Millionen von Gewaltopfern in anderen Staaten, von deren Regierungen und Bevölkerungen dennoch ein rationales Verhalten verlangt wird. Man kann es sogar unbegreiflich finden. Aber man kann dagegen nicht argumentieren – gegen Gefühle lässt sich nicht argumentieren. Sie müssen als gegeben hingenommen und berücksichtigt werden, gerade dann, wenn man in irgendeiner Frage einen Kurswechsel wünscht. Darin unterscheiden sich Beziehungen zwischen Ländern nicht von Beziehungen zwischen einzelnen Menschen.
Ungeachtet dieser Einsicht und obwohl auch ich finde, dass man Soldaten nicht für eine verfehlte Politik verantwortlich machen darf, berührt mich die Fülle der demonstrativen Solidaritätsbekundungen mit der Armee doch eigenartig. Sie wären in Deutschland aus vielen, auch historischen Gründen bis heute schwer vorstellbar. Trotz unserer Beteiligung an mehreren Kriegen nach dem Ende der bipolaren Welt. Fast 400 Kilometer sind es nach Freeport in Maine, das ich heute noch erreichen will, und es ist eine ziemlich langweilige Fahrt. Da ich mir in Connecticut und Massachusetts viel Zeit gelassen habe, nehme ich nämlich jetzt die Autobahn, um ein bisschen voranzukommen.
»Wenn wir diese Schnellstraßen einmal quer durch das ganze Land haben werden, wie es früher oder später der Fall sein wird und sein muss, dann wird man von New York nach Kalifornien fahren können, ohne auch nur das Geringste zu sehen«, schrieb John
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