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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Gaus
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Erkenntnismöglichkeiten. Jede Entscheidung für einen Ort oder ein Gespräch ist zugleich eine Entscheidung gegen eine unübersehbar große Zahl anderer und damit zugleich verpasster Möglichkeiten. Genau wie im normalen Leben. Aber anders als im normalen Leben weiß ich bei dieser Reise ganz genau, wie viel – oder besser: wie wenig – Zeit ich zur Verfügung habe und dass ich nicht zurückkehren werde in eine Region, die ich verlassen habe. Manchmal deprimiert mich das, manchmal verunsichert es mich. Gleichgültig lässt es mich nie.
    John Steinbeck ist übrigens nicht nach Provincetown gefahren. Er hätte keinen Grund dazu gehabt: die einschneidenden Veränderungen des ehemaligen Fischerdorfes begannen erst Jahre nach seiner Reise. Steinbeck fuhr ohne den Umweg über Cape Cod direkt in den Norden, hinauf nach Maine. Dort will ich heute auch noch hin.
    Unterwegs sehe ich an vielen Autos bunte Aufkleber in Form von Schleifen, die meisten gelb, manche auch blau, grün oder weiß. »Support our troops!« liest man darauf oft: »Unterstützt unsere Truppen!« Das dürfe ich nicht mit einer Unterstützung für den Irakkrieg verwechseln, belehrt mich ein älterer Mann, der in einem Andenkenladen diese Aufkleber verkauft. Manchmal solle zwar genau das damit betont werden, es könne aber auch das Gegenteil bedeuten: dass nämlich die Soldaten nicht im Irak verheizt werden sollten. Die Schleifen drückten zunächst nichts anderes aus als den Wunsch nach einer sicheren Heimkehr. Dass der Mann recht hat, beweist ein Transparent, das quer über eine Brücke gespannt ist: »Support our troops – bring them home now!« – »Unterstützt unsere Truppen – bringt sie sofort nach Hause!«
    Die Gegnerinnen und Gegner dieses Krieges wollen den Fehler nicht wiederholen, den vor etwa vier Jahrzehnten große Teile der damaligen Protestgeneration gemacht haben: Befehlsempfänger für Fehlentscheidungen gewählter Politiker verantwortlich zu machen. In North Dakota wird mir später die 81-jährige Judy Curd erzählen, dass ihr Sohn angespuckt wurde, als er aus dem Vietnamkrieg zurückkam. Ihre Empörung und ihre Trauer darüber sind bis heute spürbar. Ein Heimkehrer aus dem Irak müsste jetzt nicht mehr befürchten, dass ihm Vergleichbares widerfahren könnte.
    Die Scham darüber sitzt gerade bei Kriegsgegnern tief, dass traumatisierte, zerschossene Veteranen des Vietnamkrieges auch von jenen im Stich gelassen wurden, die für andere Bevölkerungsgruppen – alleinerziehende Mütter, Kinder armer Familien, chronisch Kranke – staatliche Hilfen einfordern. Keine einzige der Schleifen an den Autos, die Solidarität mit den Soldaten bekunden, dürfte sich George W. Bush ans Revers heften, ohne in jedem Einzelfall genau nachzufragen, ob damit auch Zustimmung zu seiner Politik gemeint ist. Zumindest: mitgemeint ist.
    Nichts anderes hat den Ruf des derzeitigen US-Präsidenten so gründlich ruiniert wie der Krieg gegen den Irak. Wer diesen Krieg nicht von Anfang an abgelehnt hat – und das war nur eine kleine Minderheit –, der lehnt ihn jetzt ab. Wer auch das nicht tut, findet zumindest, dass von der US-Regierung schwere strategische Fehler gemacht wurden. Die Übereinstimmung in dieser Frage ist so groß, dass es während meiner Reise im Herbst 2007 so aussieht, als ob die Opposition diese Fehler nicht einmal im Präsidentschaftswahlkampf wird nutzen können. Nicht nur deshalb, weil führende Demokraten den Feldzug ursprünglich auch gutgeheißen hatten. Sondern vor allem deshalb, weil Republikaner sich in ihrer Kritik inzwischen nur noch schwer überholen lassen.
    Der überraschende Siegeszug des 71-jährigen John McCain zu Beginn des Jahres 2008 steht dazu nur begrenzt im Widerspruch: Ja, er meint, dass die US-Truppen notfalls auch noch hundert Jahre im Irak verbleiben müssen. Aber er kann sich diese Position nur leisten, weil er einer der ersten war, der taktische Fehler des Feldzuges öffentlich kritisiert hat.
    Es ist sehr fraglich, ob Nordamerikaner und Europäer einander verstehen, wenn sie über Legitimität und Sinn von militärischen Interventionen diskutieren. Bei keinem anderen Thema habe ich so sehr wie bei diesem den Eindruck gewonnen, dass wir nicht dasselbe meinen, wenn wir dasselbe sagen. Seit dem Bürgerkrieg, der ja bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts stattgefunden hat, haben Nordamerikaner niemals mehr erfahren müssen, was Krieg auf eigenem Territorium bedeutet. Ich finde, dass dies auch in den

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