Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
»Mehr und mehr unserer demokratischen Freiheiten werden einfach weggespült.« Der Patriot Act, der bürgerliche Rechte im Kampf gegen den Terrorismus einschränkt, sei genau das Gegenteil von dem, was der Name behaupte: »Völlig unpatriotisch. Ein Bruch unserer Verfassung. Mit der Verordnung für saubere Luft ist es dasselbe: Sie erlaubt mehr Luftverschmutzung.«
Es ist das erste Mal auf dieser Reise, dass ein Gesprächspartner von sich aus die Einschränkung demokratischer Freiheiten anspricht. Ich bin sicher, dass auch Leute wie Karen Teeters in Montana, Susan und Mary-Jo Avellar in Massachusetts oder Joe Ilg in Wisconsin keine Anhänger des Patriot Acts sind. Aber sie haben ihn nicht von sich aus erwähnt, als sie darüber sprachen, was ihnen an der Regierungspolitik missfällt. Ich glaube, dies liegt daran, dass die Gefahr, als Terrorverdächtiger ins Netz der Fahnder zu geraten, in den ländlichen Gebieten der Vereinigten Staaten nach wie vor verschwindend gering ist. Fast ebenso gering übrigens, wie ein Opfer von Terroristen zu werden. Niemand, mit dem ich gesprochen habe, hat davor Angst. Auch Michael nicht. New York und Washington sind weiter weg von den Kleinstädten und Bauernhöfen dieses Landes, als sich mit Kilometerangaben ausdrücken lässt.
Im vergangenen Jahr hat Michael White seinem Vater eine Reise nach Deutschland geschenkt. Abends, wenn der alte Mann im Bett lag, zog er mit einem Bekannten, der fließend Deutsch spricht, durch bayerische Kneipen. »Ich würde nicht sagen, dass ich auf offene Feindseligkeit gestoßen bin. Aber es war knapp davor.« Ständig habe er die Politik des Weißen Hauses verteidigen sollen. Was ihm, wie man sich vorstellen könne, nicht leichtgefallen sei.
Es empört mich immer wieder, wenn ich feststelle, dass jeder Araber in den USA befürchten muss, für einen Verbündeten von Osama bin Laden gehalten zu werden. Ich finde es ungeheuerlich, dass in einem Land, dessen Gründungsmythos in der Suche nach religiöser Freiheit besteht, der Präsidentschaftskandidat Barack Obama mit einer Flüsterkampagne diskreditiert werden soll, die ihm unterstellt, er sei Muslim. Aber die Einwohner der Vereinigten Staaten sind nicht die Einzigen, die Stellvertreterkriege führen. Ich kann mir gut vorstellen, mit welcher selbstgerechten Überheblichkeit der Reisende aus den USA in Deutschland konfrontiert worden ist. Wenn man schon keine Gelegenheit hat, dessen Präsidenten ins Gesicht zu sagen, was man von ihm hält, dann muss eben ein Pferdezüchter aus Idaho dafür herhalten. Daran finden auch Leute nichts Verwerfliches, die Rassismus in jeder anderen Form entschieden ablehnen.
Was ist er denn nun eigentlich – Makler oder Pferdezüchter? Michael lacht. »Beides.« Aufgewachsen ist er in New Orleans und hat dann Forstwissenschaft und Ökosystem-Management in Texas studiert. Seit 1990 lebt er in Idaho, zunächst in einer Blockhütte ohne Strom mitten im Wald. 15 Jahre hat er in diesem Wald als Förster gearbeitet. Heute gehört ihm eine 13 Hektar große Ranch, auf der er Pferde züchtet. »Aber ohne meine Frau wäre das nicht zu schaffen.« Vieles wäre ohne sie nicht zu schaffen, meint der vierfache Vater, dessen jüngstes Kind gerade sieben Wochen alt ist. »Vorausschauende Planung ist nicht meine starke Seite.« Sagt er und grinst.
Aller Verzweiflung über die politischen Verhältnisse zum Trotz: Michael White macht den Eindruck eines glücklichen Mannes. Er bestätigt das: Ja, er führe genau das Leben, das er führen wolle, und er habe auch schon immer im Westen leben wollen, seit seine Eltern mit ihm in seiner Kindheit das erste Mal hierher gereist seien. Als Junge habe er Westernfilme geliebt, und diese Leidenschaft präge manche seiner Gefühle noch heute: »Mein Verstand sagt, dass die Waffengesetze verschärft werden müssen. Aber ich besitze selber viele Waffen, ich gehe gern auf die Jagd und – ja, ich liebe meine Waffen auch.« Er zuckt etwas ratlos mit den Schultern. »Mir ist schon klar, dass das ein Widerspruch in sich ist.«
Was hält eigentlich jemand, der ein ökologisches Fach studiert und die politische Grundhaltung von Michael White hat, von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln? Er wisse, dass das in Europa ein großes Thema sei, antwortet er, und er selbst achte auch darauf, biologisch angebaute Lebensmittel zu kaufen. Das Obst der großen Supermärkte schmecke ihm einfach nicht. Außerdem sei es natürlich ein großes Problem, dass man heute vieles
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