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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Gaus
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skurrilen Sinn für Humor. Dachte ich. Dachte der Erste, der auf das Posting geantwortet hat, offenbar auch und empfahl ihr, die Geschichte dem Fernsehen als Drehbuch anzubieten. Antwort: »Glauben Sie mir, das ist keine Sitcom. Neben dieser Frau zu wohnen, ist die Hölle. Ich kann nachts nicht mehr schlafen, weil ich mir solche Sorgen mache. Was kommt als Nächstes ... wache ich auf und muss feststellen, dass meine preisgekrönten Rosen zerfetzt worden sind? Ganz offen, ich fürchte um mein Leben.«
    Danach kommt die Diskussion richtig in Gang. Andere Leidgeprüfte behaupten, ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben, und erkundigen sich, ob es sich um eine Dame dieses Namens und mit jener Adresse handelt? Was bestätigt wird. Nach einem kurzen Austausch über die genaue Funktion und den Verantwortungsbereich ihres Mannes wird erörtert, welche Gegenmaßnahmen vorstellbar sind. Wie gesagt: Das wahre Grauen lauert hinter Butzenscheiben.
    Die bedauernswerte Rosenzüchterin und Flamingobesitzerin will ich nicht so dringend kennenlernen. Ich bin nicht sicher, ob ich über hinreichend Mitgefühl für ein Gespräch mit ihr verfüge. Aber den Moderator des Internet-Forums möchte ich treffen. Wir verabreden uns auf halber Strecke zwischen Sandpoint und seiner Ranch in einem Gemischtwarenladen – es gibt, denke ich, kein präziseres Wort für das Geschäft als diese altmodische Bezeichnung – , und wir setzen uns davor auf eine Holzveranda. Trinken Kaffee, der gegen die grimmige Kälte hilft, und rauchen Kette.
    Michael White hat viele Hüte, die er aufsetzen kann. Er ist nicht nur Internet-Moderator, sondern auch Pferdezüchter, Immobilienmakler und ehemaliger Oberförster. Der 43-Jährige sieht aus wie Robert Redford in diesem Alter, wenn auch mit Brille. Jedes Wort von der Flamingo-Geschichte glaube er, wie er behauptet: »Die Hinweise waren zu konkret für eine Erfindung. In einer kleinen Stadt passiert viel.«
    Allerdings verändere sich Sandpoint. Es zögen immer mehr Leute wie Chris und Cecilia Hopper hierher, und die Wirtschaftsstruktur werde allmählich umgebaut. »Die Firmen, die sich hier ansiedeln, brauchen Manager, Designer und Computerspezialisten. Das bietet der lokale Arbeitsmarkt nicht. Die meisten Leute hier arbeiten im Dienstleistungssektor, und der wird schlecht bezahlt.« Eine gute Ausbildung habe in der Region auf der Liste der Prioritäten nicht besonders weit oben gestanden. »Die Eltern haben in der Holz verarbeitenden Industrie gearbeitet oder in den Minen und gedacht, das würden ihre Kinder auch einmal tun. Aber inzwischen sind die staatlichen Wälder eher für die Erholung gedacht als für die Holzindustrie.«
    Für ihn als Makler seien die steigenden Preise auf dem Immobilienmarkt natürlich wunderbar – für die Bevölkerung nicht. Die Leute fänden immer schwerer bezahlbaren Wohnraum und müssten deshalb immer weiter hinaus aufs Land ziehen. Was wiederum höhere Kosten für den langen Anfahrtsweg zur Arbeit nach sich zöge. Ich muss an Provincetown in Massachusetts denken. So dürfte es dort auch einmal angefangen haben. Die Statistik bestätigt den Trend: Auch in Sandpoint gibt es immer weniger Kinder. Noch 1990 waren 23 Prozent der Einwohner jünger als 16 Jahre. 2005 waren es nur noch 16 Prozent. Die Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen stieg dagegen von 20 auf 32 Prozent an.
    »Die Leute wären entsetzt, wenn man ihnen sagte, der Sozialismus wäre für viele von ihnen die bessere Regierungsform«, meint Michael White. »Dabei ist es einfach wahr.« Er ist nicht so sicher, dass die Demokraten bei der nächsten Wahl den Sieg davontragen werden. »Alles, was du als Republikaner tun musst, ist: Schwenke die Fahne, rede über Waffen und Religion – und schon wählt die ganze Unterschicht republikanisch. Gegen ihr eigenes Interesse.« Ich gebe zu bedenken, dass ich auf der Reise bisher zwar viele überzeugte Republikaner getroffen habe – aber niemanden, der auch nur ein freundliches Wort über George W. Bush verloren hätte. Im Gegenteil: Ein böser Witz über den Präsidenten ist in jeder Bar ein sicherer Lacher. »Ja, heute«, erwidert Michael. »Viele Leute begreifen wirklich erst jetzt, nach zwei Legislaturperioden, was sie sich da eingehandelt haben.« Er sei ziemlich verzweifelt: »Es ist hart, ein Amerikaner zu sein in diesen Zeiten. Schlimm genug, dass sie Bush das erste Mal gewählt haben – aber noch mal? Wo lebe ich?« Er wirft den Kopf zurück und lacht.
    Dann wird er ernst:

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