Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)
damit in die Zukunft zu blicken.«
»Welche Zukunft? Unsere oder die andere?«
»Unsere. Und in dieser Zukunft hat im Jahr 1914 ein anderer Russe, ein Hellseher namens Grigori Rasputin, zu uns zurückgeblickt.«
»Warum?«
»Weil er vorhersah, dass der Weltkrieg, der in seiner Zeit tobte, zu seiner Ermordung und zur Dezimierung seines geliebten Russlands führen würde. Er hielt Ausschau nach den Ereignissen, die den Konflikt ursprünglich ausgelöst hatten, und wurde hier fündig, in den 1860er Jahren.«
Monckton Milnes betrachtete seinen Freund mit zu Schlitzen verengten Augen. »Spielst du damit auf unsere Rolle bei den Feindseligkeiten in Amerika an?«
»Nein. Wir werden im Weltkrieg gegen vereinte deutsche Staaten kämpfen, daher bin ich der Ansicht, dass die jüngste Abwanderung von Eugenikern nach Preußen, allen voran die des Botanikers Richard Spruce und meines früheren Partners John Speke, der Funken sein könnte, der die Flamme entzündet.«
»Also hat dieser Rasputin die Überläufer bei der Arbeit beobachtet? Wozu?«
»Er hat sehr viel mehr getan. Rasputin ergriff Besitz von Helena Blavatsky und benutzte sie, um den Rest der kambodschanischen Steine zu stehlen und den südamerikanischen Diamanten auf dem Tichborne-Anwesen zu bergen, wodurch die Geschichte erneut verändert wurde. Danach hat er sie benutzt, um seinen hypnotischen Einfluss zu verstärken und zu bewirken, dass sich die Arbeiterklasse erhebt. Er hatte nichts Geringeres als die völlige Zerstörung des britischen Empires im Sinn, damit das vereinigte Deutschland den Krieg gegen uns ohne Russlands Unterstützung gewinnen könnte. Sobald dieses schreckliche Ziel erreicht gewesen wäre, hätte Russland sich auf ein geschwächtes Deutschland gestürzt und es bezwungen.«
»Hol’s der Teufel!«
»Blavatsky hat nicht überlebt, und der Plan schlug fehl«, fuhr Burton fort. »Ich habe bewirkt, dass Rasputin im Jahr 1914 starb,zwei Jahre vor dem Anschlag auf ihn, sodass der Verlauf der Geschichte wieder abgeändert wurde, wenngleich diese spezielle Verzweigung erst in einundfünfzig Jahren auftreten wird.«
Monckton Milnes’ Kiefer mahlten. Er ballte die Hände zu Fäusten. Dann stieß er den Atem aus, griff nach seinem Glas, leerte es in einem Zug und füllte es nach. Er zitterte. »Gütiger Himmel«, murmelte er. »Ich muss gestehen, dass ich das alles tatsächlich glaube! Wo sind die Diamanten aus Kambodscha und Südamerika jetzt?«
»Der südamerikanische Stein zerbrach in sieben Fragmente, als ich Rasputin besiegte. Sie sind in Palmerstons Besitz. Die kambodschanischen Steine sind in einen Wahrscheinlichkeitsrechner von Babbage eingebaut.«
»Ach ja? Zu welchem Zweck?«
»Während der Tichborne-Aufstände hat mir ein Philosoph namens Herbert Spencer geholfen. Er starb mit den Steinen in der Tasche, und sein Geist wurde in sie eingebrannt. Charles Babbage hatte eine Vorrichtung entwickelt, die in der Lage ist, einen solchen Abdruck zu verarbeiten. Wir haben die Diamanten in das Gerät eingesetzt und meinen Uhrwerkkammerdiener um diesen Mechanismus ergänzt. So lebt Herbert Spencer weiter, wenngleich in Gestalt eines mechanischen Apparats. Daher kenne ich die Geschichte der Nāga – die Reptilienintelligenz ist in den Steinen verblieben, und Herbert kann sie fühlen. Aber ich kann das auch. Die Nāga sind mir in einem Traum erschienen und sagten zu mir: ›Nur Äquivalenz kann zu Zerstörung oder endgültiger Transzendenz führen.‹ Das hat mein Geschick bei der endgültigen Vernichtung Rasputins gelenkt.«
Wieder rieb Milnes sich das Gesicht und verschmierte erneut seine Harlekinschminke.
»Also ist nur noch der afrikanische Diamant unentdeckt, und Palmerston entsendet dich, um ihn zu finden?«
»Haargenau. Da es sich um den letzten nicht zerbrochenen Stein handelt, wird er mächtiger sein als seine zersplitterten Gegenstücke. Palmerston will ihn benutzen, um mittels Hellsicht, Prophezeiung und medialen Anschlägen einen heimlichen Krieg gegen Preußen zu führen. Er will damit erreichen, dass Bismarck die deutschen Staaten niemals vereint. Verstehst du jetzt, weshalb ich mir wünsche, diese Expedition wäre nicht bewilligt worden?«
Er erhielt ein mattes Nicken der Zustimmung. »Ja«, kam die flüsterleise Antwort. »Eine solche Macht darf Palmerston nicht in die Hände fallen. Mein Gott, er könnte die ganze Welt manipulieren!«
»Genau wie Darwin, Galton und ihre Spießgesellen es getan hätten.«
Monckton Milnes
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