Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)
geworden?«
»Nein.«
»Dann bist du trotzdem Muzungo mbáyá .«
Burton seufzte. »Ich habe von deinem Volk ein Sprichwort gelernt. Es lautet: Bis der Narr das Spiel erlernt hat, sind die Spieler gegangen.«
Mirambo legte den Kopf schief, kaute auf der Unterlippe und musterte Burton aus den Augenwinkeln. Dann hustete er, spuckte aus und sagte: »Ich verstehe, was du meinst. Wenn ich nicht wähle, habe ich keinen Einfluss auf das Ergebnis.«
»Das ist richtig.«
Plötzlich kam Bewegung in die versammelten Krieger, und ein kleiner Mann bahnte sich einen Weg nach vorn. Er trug ein langes weißes Gewand und eine weiße Scheitelkappe. Über seiner Schulter hing ein Luntenschlossgewehr, und vom Gürtel baumelte eine Machete. Irgendwie kam er Burton bekannt vor.
»Halt! Ich kenne diesen narbengesichtigen Mann, oh Mirambo«, verkündete der Neuankömmling. »Ich bin mit ihm weit und weit gereist. Er ist hässlich und weiß, das stimmt, aber er ist nicht wie jene, die zuvor hier vorbeigezogen sind. Er ist ein guter Mann, wenngleich von verrückten Gedanken erfüllt. Ich sage die Wahrheit.«
Der Wanjamwesi-Häuptling dachte ein paar Augenblicke nach, dann sagte er zu dem Krieger: »Gib mir Pombe , Sidi Bombay.«
Der kleine Mann ließ sich von einem seiner Gefährten einen Ziegenlederschlauch geben und reichte ihn dem Stammesführer. Mirambo trank daraus und gab ihn Burton, der es ihm gleichtat.
»Also«, meinte Mirambo. »Erzähl mir von deinem Feind.«
*
Die Zeit unversöhnlicher Hitze hielt Einzug. Sie brachen das Lager jeden Morgen um vier Uhr ab, marschierten sieben Stunden, hielten an und versuchten, sich auf bestmögliche Weise vor der Glut des Tages zu schützen. Dadurch kamen sie zwar nur langsam voran, doch Burton wusste, dass Speke nicht schneller würde reisen können.
In den ersten drei Tagen, nachdem sie Tura verlassen hatten, zogen sie durch landwirtschaftlich genutzte Ebenen. Der Himmel war so grell, dass es trotz der Kufiyas , die sie vor den Gesichtern trugen, in den Augen schmerzte.
Die Töchter der Al-Manat, mittlerweile ergänzt um die rachedurstigen Frauen von Tura und deren Kinder, ritten und liefen rechts der Träger. Mirambo und seine Männer marschierten aufder anderen Seite des Trosses, wahrten Abstand, hielten die Luntenschlosswaffen bereit und die Köpfe hoch erhoben.
Sidi Bombay stapfte neben Burtons Maultier, denn er kannte den Entdecker aus alten Zeiten, und die beiden waren gute Freunde. Als ehemaliger Sklave, der nach Indien gebracht und durch den Tod seines Besitzers befreit worden war, beherrschte Bombay Englisch, Hindustani sowie zahlreiche afrikanische Sprachen und Dialekte. Er war Burtons Führer bei dessen erster Expedition in die Seenregion im Jahre 1857 gewesen und hatte dann Speke bei dessen Reise im Jahre 1860 begleitet. Nun erfuhr Burton, dass Sidi Bombay im vergangenen Jahr auch mit Henry Morton Stanley unterwegs gewesen war.
Während sie weiter durch eine scheinbar unveränderliche Landschaft wanderten, warf Bombay Licht auf die Rätsel im Umfeld der beiden letzteren Expeditionen.
Burton wusste bereits, dass Speke im Jahr 1857 den Standort des afrikanischen Nāga-Auges entdeckt hatte, dass es ihm aber nicht gelungen war, den Edelstein zu bergen, und dass er später mit einem jungen Technokraten namens James Grant nach Afrika zurückgekehrt war. Die beiden waren mit Drachen, die von riesigen Schwänen gezogen wurden, in Richtung Kazeh geflogen; unterwegs waren die Vögel jedoch Löwen zum Opfer gefallen. Nun fand Burton heraus, dass sie zu Fuß in der Gegend eingetroffen waren und Bombay angeheuert hatten, um sie erst nordwärts zum Ukerewesee und dann nach Westen zu den Mondbergen zu führen.
»Mr. Speke hat uns in eine Felsenge geführt. Oho! Wir wurden von Chwesi-Kriegern angegriffen.«
»Unmöglich, Bombay!«, rief Burton. »Über das Volk der Chwesi wird in ganz Ostafrika gesprochen. Alle sind sich einig, dass die Chwesi vor langer Zeit ausgestorben sind. Ihr legendäres Reich gibt es seit dem sechzehnten Jahrhundert nicht mehr.«
»Aber vielleicht hat es ihnen niemand gesagt, denn einige haben vergessen zu sterben, und nun leben sie an versteckten Orten. Sie hüten den Tempel des Auges.«
»Einen Tempel? Hast du ihn gesehen?«
»Nein, Mr. Burton. Er liegt unter der Erde. Ich habe beschlossen, dort nicht hinzugehen, denn ich habe mein viertes Eheweib in einer schlecht beleuchteten Hütte kennengelernt und seither nie vergessen, dass in der Dunkelheit
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