Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)
wir haben uns durch Schmerzen, Fieber und andere Unbilden gekämpft und uns bis zur Erschöpfung verausgabt. Das ist der Kontext, in dem ich meineEntscheidungen beurteilen muss, aber ich begreife seine Bedeutung nicht. Es muss doch eine geben! Ich beherrsche zwanzig Sprachen, Isabel. Warum kann ich die Sprache dieser Ereignisse nicht übersetzen?«
»Du verlangst zu viel von dir«, sagte Isabel. »Du schläfst zu wenig. Du bist überlastet. Du versuchst zu tun, was kein Mann und keine Frau könnte. Wie die Zeit funktioniert, ist uns allen ein Rätsel. Diese Komtesse Sabina, die so viel mehr sieht als wir anderen – versteht sie es?«
»Nein. Sie fühlt sich umso verwirrter, je mehr sie beobachtet.«
»Dann kann es von den Lebenden vielleicht gar nicht entschlüsselt werden. Vielleicht erhält es erst im Nachhinein von denen eine Bedeutung zugewiesen, die in der Zukunft leben. Von Historikern.«
»Die nicht einmal ein Bestandteil der Ereignisse waren! Sind künftige Historiker in einer besseren Position, um das Leben der Al-Manat zu interpretieren, als du es bist? Selbstverständlich nicht!«
»Hast du Angst davor, wie die Geschichte über dich urteilen wird?«
»Nein. Ich habe Angst davor, wie ich über die Geschichte urteile.«
Isabel lachte leise.
Überrascht schaute Burton sie an. »Was ist so lustig daran?«
»Oh, gar nichts, Dick. Ich habe mir nur ausgemalt, du würdest mich beiseitenehmen und mir sagen, dass du mich liebst. Wie dumm von mir. Ich hätte wissen müssen, dass es nur um eine philosophische Diskussion geht.«
Burton starrte sie an. »Ich bin ein Dummkopf. Natürlich liebe ich dich, Isabel. Ich habe dich von dem Moment an geliebt, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Und es gibt mir einen eigenartigen Trost zu wissen, dass es eine andere Geschichte gibt, in der wir zusammen sind, nicht getrennt durch …« Er deutete in die Runde. »All das hier.«
»Ich dachte mir immer, wenn sich etwas zwischen uns drängt, dann Afrika«, erwiderte sie.
»Aber so war es nicht«, entgegnete Burton. »Es war die Sache mit Spring Heeled Jack.«
»Ja.« Isabel seufzte. »Ich vermute allerdings, dass diese Ereignisse irgendwo hier ihren Ursprung haben, genau wie der Nil.«
*
Die Sonne war aufgegangen und tauchte die Ebene in die Farbe von Blut. Von der Kuppe eines Hügels aus blickten Burton, Swinburne, Trounce, Spencer und Sidi Bombay auf das weite Land hinunter und beobachteten, wie die Expedition sich in drei Gruppen teilte. Eine kehrte unter Führung von Maneesh Krishnamurthy in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Eine andere – die Töchter der Al-Manat – ritt am Fuße der Anhöhen davon. Die dritte schließlich – Mirambo und seine Männer – rückte in den Wald unmittelbar östlich der Stadt vor.
Burton sagte mit finsterer Miene: »Kommt mit.«
Er schwenkte sein Pferd auf einen Pfad, der nach Norden führte. Beim Durchqueren eines langen Tals bewegten sie sich zwischen den Bäumen hindurch und kamen rasch voran, weil das Unterholz glücklicherweise licht war und der Baldachin der Blätter vor der Sonne schützte. Sie hielten nicht an, um zu rasten, und sprachen auch nicht, bis sie am frühen Nachmittag zum Rand einer Savanne gelangten. Sie setzten sich und teilten ungesäuertes Brot und Gemüsebananen miteinander. Worte wurden kaum gewechselt. Jeder war in Gedanken versunken und lauschte den fernen Schüssen. Sogar die drei Kreischer Pox, Malady und Swinburne gaben sich kleinlaut.
»Los, weiter. Wir bleiben in Bewegung«, sagte Burton schließlich. »Die Hitze müssen wir hinnehmen.«
Sie setzten die Reise fort, verschafften sich mit Sonnenschirmen Schatten, lenkten die Pferde über harten, staubigen Bodenund beobachteten, wie Impala- und Zebraherden auseinanderstoben, als sie sich ihnen näherten.
Der Rest des Tages zog sich träge dahin. Die schier endlose Landschaft veränderte sich kaum. Das extreme Klima machte die vier Männer so benommen, dass sie immer wieder in leichten Schlaf fielen, aus dem Spencer sie weckte, indem er rief: »Die verflixten Pferde bleiben schon wieder stehen, Boss!«
Kurz vor Sonnenuntergang errichteten sie ein kleines Zelt neben einer Felserhöhung und krochen unter das Segeltuchdach, um zu schlafen. Sidi Bombay hüllte sich in eine Decke und döste unter den Sternen. Spencer, der mit seinem Schlüssel aufgezogen worden war, hielt Wache.
In den wenigen Sekunden, bevor Swinburne die Erschöpfung übermannte, erinnerte er
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