Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)
als feiner Herr durch, solange er den Mund hielt. Hätten ihn die anderen Flaneure reden gehört, hätten sie den derben Akzent und die verstümmelte Grammatik des als »Kessel« bekannten Viertels auf Anhieb erkannt und zweifellos einen großen Bogen um Dennis gemacht.
So jedoch mischte sich der Taschendieb unter seine potenziellen Opfer und zog kaum einen argwöhnischen Blick auf sich – bis auf einen, der ihn nicht aus den Augen ließ und der PC 53 Trounce gehörte.
Es wäre eine äußerst befriedigende Errungenschaft für den jungen Constable gewesen, hätte er diesem Schurken heute das Handwerk legen können, doch leider sollte es nicht sein. Dennis’ Blick zuckte von Handtasche zu Handtasche, von Hosentasche zu Hosentasche, doch seine langen, rastlosen Finger blieben stets in Sicht, und Trounce musste sich damit begnügen, den Mann zu verwarnen und zu verscheuchen.
»Ach, verdammte Hölle, nix hab ich vor, gar nix!«, hatte Dennis geheult. »Bin nur mal meinen Sonntagsanzug am Lüften, das war’s.«
»Es ist Mittwoch, Dennis«, hatte Trounce zu bedenken gegeben.
Der Dieb hatte protestiert, hatte sich gekrümmt und gewunden, bevor er schließlich davongewieselt war. Trounce hatte seinen Rundgang fortgesetzt, ein wenig enttäuscht darüber, dass er sein Abzeichen nach zwei Wochen im Dienst noch immer nicht »eingeweiht« hatte.
Am Ende der Mall passierte er den Buckingham Palace und bog nach rechts in den Park. Er lief lieber im Gras als auf dem Gehweg des Constitution Hill, da er es besser fand, hinter der Menschenmenge zu bleiben, die sich häufig entlang Victorias Route einfand, denn die Unruhestifter versteckten sich fast immer hinten, wo sie schneller die Beine in die Hand nehmen konnten, falls jemand etwas gegen ihre Buhrufe einzuwenden hatte.
Trounce sah, dass die von vier Pferden gezogene Kutsche Ihrer Majestät – auf dem Tier vorne links ritt ein Postillion – bereits ein Stück vor ihm die Straße entlangrollte. Er beschleunigte seine Schritte, um das Gefährt einzuholen. Dabei lief er einen Abhang hinunter, der ihm einen sehr guten Blick über das Geschehen bot.
Trotz des milden Wetters war die Menschenmenge an diesem Tag klein. Es gab keine Proteste und nur wenige Jubelrufe.
Ein Schuss ließ ihn zusammenfahren.
Was war das?
Trounce rannte los, ließ den Blick über die Menge vor sich schweifen und entdeckte einen Mann mit Zylinder, blauem Gehrock und weißen Kniehosen, der rechts neben der langsam fahrenden Kutsche herlief. Der Mann ließ soeben eine rauchende Steinschlosspistole fallen und zog mit der linken Hand eine zweite Waffe aus dem Mantel.
Eiskaltes Entsetzen packte Trounce. Plötzlich schienen die Ereignisse sehr viel langsamer abzulaufen.
Seine Beine streckten sich, seine Schritte auf dem Grasboden klangen dumpf, und er hörte sich schreien: »Nein!«
Er sah, wie sich einige Köpfe zu dem Mann umdrehten.
Trounces Blut rauschte in seinen Ohren.
Der linke Arm des Mannes schwang nach oben.
Die Königin stand auf und hob eine Hand an die weiße Spitze um ihren Hals.
Ihr Ehemann streckte den Arm nach ihr aus.
Ein zweiter Mann sprang vor und packte den Schützen. »Nicht, Edward!«, ertönte ein Schrei.
Das Bild schien einzufrieren – die beiden Männer, ineinander verschlungen, ihre Gesichter selbst aus dieser Entfernung so ähnlich wie die zweier Brüder; die Menge, in der Bewegung erstarrt, einige beim Schritt voran, andere beim Schritt zurück; die Königin, aufrecht stehend in der Kutsche, in cremefarbenem Kleid und Hut; ihr Gemahl, nach vorne gelehnt, mit Zylinder und rotem Jackett; die vier Vorreiter, die ihre Pferde wendeten.
O Gott , schoss es Trounce durch den Kopf. Bitte nicht!
Plötzlich flog eine sonderbare Kreatur an ihm vorbei.
Groß, mit schlaksigen Gliedmaßen bewegte sich die Gestalt auf einem Mechanismus voran, der aussah wie mit Sprungfedern versehene Stelzen. Genau vor dem Constable, der stolperte und auf die Knie fiel, blieb sie stehen.
»Edward, nein!«, brüllte die merkwürdige Erscheinung.
Ein Blitz schoss aus ihrer Seite in den Erdboden, und die magere Gestalt taumelte und griff sich stöhnend an die Brust. Weiter hinten drehten sich die kämpfenden Männer um und blickten zu ihnen.
Ein zweiter Schuss peitschte durch den Park.
*
Die in Nebel gehüllte Stadt Tabora war schmutzig und übervölkert, voller bedrückender monumentaler Gebäude und lärmender Straßen. Die zahlreichen Fahrzeuge erinnerten Sir Richard Francis
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