Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)
dreckiger, verräterischer Mistkerl!«
Entsetzt schrak Burton zurück. »Was?«
»Sie hinterhältiges Wiesel!«
Der Entdecker drehte sich Wilde zu. »Hast du mich hergebracht, um mich beleidigen zu lassen?«
»Bitte geben Sie ihm einen Moment, um Dampf abzulassen, Captain. Er hat sich ein halbes Jahrhundert lang aufgestaut.«
»Preußischer Spion! Verräterische Schlange! Mistiger Kollaborateur!«
»Ich habe keine Ahnung, wovon er redet. Ist er denn zurechnungsfähig?«
»Mehr oder weniger.«
»Wie alt ist er?«
»Einhundertvierunddreißig.«
»Sie haben es mir nie gesagt, verdammt noch mal!«, gurgelte Palmerston.
»Sind Ihnen die Beleidigungen endlich ausgegangen, Pam?«, fragte Burton.
» Lord Palmerston , Sie unverschämter Hund! Sie haben es mir nie gesagt!«
»Ihnen was gesagt?«
Die missgebildete Gestalt wand und streckte sich krampfhaft.
Wilde meldete sich zu Wort. »Bitte beruhigen Sie sich, Lord Palmerston. Wir haben keine Zeit für Wutausbrüche.«
Der ehemalige Premierminister erschlaffte. Voll schwefeligem Hass starrte er Burton finster an. Die Akkordeonvorrichtung zitterte, ratterte und ächzte, weitete sich, stieß weiteren Dampf aus und presste sich zusammen.
»Ich habe Sie nach Afrika geschickt, um das Nāga-Auge zu finden. Ihre Mission war erfolgreich, aber Sie haben verabsäumt, mir zu berichten, dass Sie im Zuge der Bergung die Zukunft besucht haben!«
»Sir«, erwiderte Burton, »Sie müssen sich klarmachen, dass Sie mich für etwas tadeln, das ich aus meiner Sicht der Dinge noch gar nicht getan habe.«
»Sie haben diesen verfluchten Krieg gesehen. Sie haben gesehen, dass die Deutschen über den gesamten Erdball wüteten. Sie haben gesehen, dass das britische Empire auf diese kleine Enklave zusammengeschrumpft war. Dennoch haben Sie es mir bewusst vorenthalten! Sie haben von Anfang an für die Preußen gearbeitet!«
»Nein, habe ich nicht.«
»Warum dann?«
»Wie soll ich mich für Entscheidungen rechtfertigen, die ich noch gar nicht getroffen habe?«
»Verräter!«
Burton sah Oscar Wilde an und zuckte hilflos mit den Schultern.
Wilde trat vor. »Meine Herren, kommen wir doch gleich auf den springenden Punkt. Captain, wenn ich erklären darf – Lord Palmerston wird von der Mehrheit der Briten die Schuld an der misslichen Lage gegeben, in der wir uns befinden.«
»Ja, auch Bertie Wells hat eine solche Meinung zum Ausdruck gebracht.«
»Richtig. Zum Glück hat Bertie aus Loyalität zu mir in dieser Angelegenheit gegen seine Überzeugungen gehandelt, denn ich und einige andere sind der Meinung, dass Lord Palmerston nur das Wohl des Empires im Sinn hatte, als er die Entscheidungen traf, die zu diesem Krieg geführt haben.«
Burton betrachtete das in dem Gestell hängende Monstrum und murmelte: »Dem widerspreche ich nicht. Aber Quips, dieses ›Wohl‹ wurde so ausgelegt, wie er die gegebenen Einflussfaktoren auffasste: die politische Landschaft, die wahrgenommene Form der Gesellschaft und Kultur, die Ratschläge seiner Minister und so weiter. Meiner Ansicht nach war seine Beurteilung dieser Dinge ausgesprochen falsch, daher gilt dasselbe unweigerlich auch für seine Entscheidungen.«
Palmerston gab ein gehässiges Zischen von sich.
Wilde nickte. »Eine berechtigte Aussage. Aber ist es nicht so, dass die Sicht eines Menschen auf die Gegenwart von seiner Vergangenheit geformt wird?«
»Wo liegt dann die Verantwortung für seine Entscheidungen? Bei der Zeit selbst? Falls ja, dann sagst du damit, Palmerston sei ein Opfer des Schicksals.«
»Richtig. Ich gehe sogar noch weiter und behaupte, dass für Sie dasselbe gilt. Daher sollten Sie vielleicht den Versuch aufgeben, zu verstehen, was derzeit passiert, und den Dingen ihren Lauf lassen, wie immer er aussehen mag. Sie haben ja gerade erfahren, dass Sie in die Vergangenheit zurückkehren werden, was sicher eine äußerst erfreuliche Neuigkeit für Sie ist. Bertie trifft gerade Vorkehrungen, um sicherzustellen, dass Sie aus Tabora gelangen. Wenn das geschafft ist, schlage ich vor, dass Sie jedwede Abfolge von Ereignissen hinnehmen, die Sie nach Hause führt.«
Plötzlich überkam Burton ein Gefühl der Sehnsucht. Wie sehr er doch Mrs. Angell, seinen gemütlichen alten Lehnsessel mit den Seitentaschen, seine Bibliothek und sogar Mr. Grub vermisste, den Straßenverkäufer, der seinen Stammplatz an der Ecke der Montagu Place hatte!
»Captain«, fuhr Wilde fort. »Genau wie Lord Palmerston seine Entscheidungen so getroffen
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