Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)

Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)

Titel: Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Hodder
Vom Netzwerk:
aus der viktorianischen Ära glatt, die er unter dem Zeitanzug getragen hatte, setzte sich den Zylinder auf und bahnte sich den Weg zum Rand des Dickichts. Als er unter den Bäumen hervortrat, stürmte eine veränderte Welt auf seine Sinne ein. Augenblicklich wurde er von einem heftigen Gefühl des Unwohlseins erfasst.
    Durch die schwülfeuchte, schmutzige Luft sah er die Weite eines leeren Himmels. Die hohen Glastürme seiner eigenen Zeit waren verschwunden. London schien sich an den Erdboden zu klammern. Der Buckingham Palace zu seiner Linken, jetzt halb hinter einer hohen Mauer verborgen, sah so neu aus, als wäre er gerade erst erbaut worden. Menschen in wundersamen Kostümen gingen im Park spazieren   – nein, es waren keine Kostüme, rief er sich in Erinnerung. Die Leute kleideten sich immer so. Doch die Langsamkeit, mit der sie sich bewegten, wirkte unnatürlich auf ihn.
    Trotz der Geräusche im Hintergrund schien London schlafend unter einer Decke des Schweigens zu liegen.
    Oxford stieg den Abhang zum Fuß des Constitution Hill hinunter. Dabei kämpfte er gegen das zunehmende Gefühl der Orientierungslosigkeit an.
    »Ganz ruhig, Edward«, murmelte er bei sich. »Halt durch. Lass nicht zu, dass es dich überwältigt. Das hier ist weder ein Traum noch eine Illusion, also konzentrier dich, bring die Sache zu Ende und lauf dann zurück zu deinem Anzug.«
    Er erreichte den breiten Weg. Bald würde die königliche Kutsche hier vorbeifahren. Mein Gott! Er würde Königin Viktoria sehen!
    Oxford blickte sich um. Jede Person, die er sah, trug einen Hut oder eine Haube. Die meisten Männer waren bärtig oder hatten zumindest einen Oberlippenbart. Die Frauen hielten Sonnenschirme in den Händen.
    Zeitlupe. Hier geschah alles in Zeitlupe.
    Er musterte die Gesichter. Welches gehörte zu seinem Vorfahren? Er hatte nie ein Foto des ursprünglichen Edward Oxford gesehen, denn es gab keines   – aber er hoffte, eine gewisse familiäre Ähnlichkeit entdecken zu können.
    Er stieg über den niedrigen schmiedeeisernen Zaun hinweg, der den Weg einfasste, ging auf die andere Seite und blieb in der Nähe eines Baumes stehen. Die Menschen sammelten sich entlang des Weges. Oxford hörte eine erstaunliche Zahl verschiedener Akzente, und sie alle erschienen ihm lächerlich übertrieben. Einige, die er der Arbeiterklasse zurechnete, waren unverständlich, während die Oberschicht mit einer Präzision und Deutlichkeit sprach, die künstlich wirkte.
    Immer wieder blieb sein Blick an Details hängen, die seineAufmerksamkeit mit geradezu hypnotischer Kraft festhielten: der allgegenwärtige Abfall und Hundekot auf dem Rasen, die Flecken und abgewetzten Stellen der Kleidung der Passanten, verfaulte Zähne und rachitiskrumme Beine, affektierte Gesten und spitzengesäumte Taschentücher, Pockennarben und schwindsüchtiges Husten.
    »Konzentrier dich!«, flüsterte er.
    Oxford bemerkte einen Mann gegenüber, der in entspannter, aber ziemlich arroganter Haltung dastand und ihn mit einem wissenden Lächeln im runden Gesicht anschaute. Er war von schmaler Gestalt und hatte einen langen Schnurrbart.
    Kann er sehen, dass ich nicht hierher gehöre?
    Die Menge brach in Jubel aus. Die Kutsche der Königin war soeben aus den Palasttoren gerollt. Die vier Pferde wurden von einem Vorreiter angeführt. Zwei Wachen trabten vor dem Gefährt den Weg entlang, zwei dahinter.
    Wo war sein Verwandter? Wo war der Schütze?
    Vor ihm richtete sich ein Mann mit Zylinder, blauem Gehrock und weißer Kniehose auf, griff in seinen Mantel und trat an den Weg heran. Langsam kam die königliche Kutsche näher.
    Ist er das?
    Einen Moment später kamen die ersten Vorreiter in Sicht. Der Mann im blauen Gehrock stieg über den Zaun. Als die Königin mit ihrem Gemahl vorüberfuhr, machte er drei große Schritte, um mit dem Gefährt mitzuhalten. Dann zog er eine Steinschlosspistole und feuerte, warf die rauchende Waffe zu Boden und zog eine zweite.
    Oxford schrie: »Edward, nein!«, und rannte los.
    *
    Sie entdeckten Sansibar zuerst mit der Nase, denn noch bevor die Insel den Horizont verdunkelte, trug die schwüle Brise den Geruch von Nelken mit sich. Erst dann kam der lange Landstreifenam Ufer des saphirblauen Meeres in Sicht. Die gleißende Sonne verwandelte die korallensandigen Strände in poliertes Gold.
    »Meiner Seel!«, flüsterte William Trounce. »Wie lautet das Wort dafür? Verschlafen?«
    »Beschaulich«, schlug Krishnamurthy vor.
    »Sich träge in sinnlicher Ruhe

Weitere Kostenlose Bücher