Auf der Suche nach den ältesten Sternen (German Edition)
Temperaturen fälschlicherweise solche niedrigen Werte. Dennoch fand ich, dass das Spektrum irgendwie etwas anders als das typischer Fehlklassifikationen aussah. Aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen befand sich dieser Stern mehrere Monate lang von mir unbeachtet auf dieser Liste. Denn ich hatte mit ziemlich vielen anderen Aufgaben wie weiteren Nachbeobachtungen zu tun, um möglichst schnell alle Nachbeobachtungen unter Dach und Fach zu bringen. Diese Liste war nichts anderes als ein Blatt Papier, das neben einigen dieser »Problemfälle« noch einige andere gekritzelte Notizen enthielt. Leider ist dieser Zettel bei diversen Umzügen vom einen zum anderen Kontinent inzwischen verlorengegangen. Dennoch kann ich mich nach wie vor sehr gut an ihn erinnern.
Damit stand der Stern also auf der Abschussliste und wartete nur noch auf das OK meines Kollegen, um aus der Stichprobe endgültig herausgeschmissen zu werden. Da vier Augen mehr als zwei sehen, wartete ich also mit dem »Wegschmeißen« bis zu unserem nächsten Treffen. Dieses war im Mai 2004. Zusammen mit drei weiteren Astronomen waren wir an die Michigan State University eingeladen worden, um dort für 14 Tage zu arbeiten und diverse Projekte zu besprechen. Es war gleichzeitig eine gute Gelegenheit, mich ausgiebig mit meinem Kollegen über besagte Problemsterne auszutauschen und ganz generell über den Fortschritt meiner Doktorarbeit zu berichten. So zeigte ich ihm in den ersten Tagen das Nachbeobachtungsspektrum von HE 1327–2326 sowie die dazugehörigen Analyseergebnisse. Mein Kollege starrte auf das Spektrum und schnappte nach Luft. Sätze wie »Oh, wow, das ist aber äußerst interessant!!« und »Wir brauchen sofort ein hochaufgelöstes Spektrum!« kamen wie ein Wasserfall aus ihm herausgesprudelt.
Danach ging alles sehr schnell. Als Erstes kontaktierte ich meinen Beobachterkollegen, mit dem ich am Siding Spring-Observatorium des Öfteren beim Beobachten zusammengearbeitet hatte. Wie der Zufall es wollte, war er gerade dort und somit in der Lage, uns sofort ein besseres Nachbeobachtungsspektrum zu beschaffen. Wir wollten unbedingt sicherstellen, dass mit dem Originalspektrum nicht irgendetwas schiefgelaufen war. Allerdings regnete es zur Zeit der Anfrage in Australien. Aber wir hatten Glück, denn für etwa 10 Minuten war es trocken und klar genug, um diesen hellen Stern mit dem 2,3 m-Teleskop kurz zu beobachten. Dies war der einzige Stern, den mein Kollege während seiner mehrere Nächte dauernden Kampagne dort beobachten konnte.
Wir kamen dann sofort zu dem Ergebnis, dass das neue Spektrum genauso aussah wie das alte. Nichts hatte sich geändert, und man konnte die sehr schwache Kalzium-Linie jetzt sogar deutlicher erkennen. Abbildung 10.3 zeigt dieses Spektrum. Die neue Analyse ergab nun, dass HE 1327–2326 relativ warm und somit ein Hauptreihenstern sein und eine Eisenhäufigkeit von [Fe/H] = –4.3 haben musste.
Abb. 10.3: Das 2,3m-Teleskop-Spektrum, welches bestätigte, dass HE 1327–2326 ein außerordentlich metallarmer Stern ist, für den ein hochaufgelöstes Spektrum benötigt wurde. Die winzige Kalzium-K-Linie kann zwischen den Wasserstofflinien bei etwa 3900 Å gesehen werden. Die Ordinate gibt die Photonen-Counts des Spektrums an.
Was für ein Moment! Entgegen allen Erwartungen war der »Abschuss-Stern« innerhalb von zwei Tagen zum wichtigsten Objekt aller unserer Forschungsaktivitäten geworden. Alles ging so schnell, dass ich kaum wahrnehmen konnte, dass dieser Stern einen entscheidenden Wendepunkt in meiner Arbeit herbeigeführt hatte. Zu dem damaligen Zeitpunkt gab es einen Stern, CD –38° 245, mit [Fe/H] = –4.0 (ein leicht korrigierter Wert gegenüber der Originalanalyse) und einen anderen, HE 0107–5240, mit [Fe/H] = –5.2. Alle anderen Sterne hatten höhere Eisenhäufigkeiten. Einen Stern mit einer Metallizität zwischen denen dieser beiden Sterne zu finden, galt als sensationell. Denn andere Wissenschaftler hatten schon angefangen, darüber zu spekulieren, ob es in dem großen Bereich zwischen [Fe/H]= –4 und [Fe/H] = –5 überhaupt Sterne geben könnte.
Jetzt war der Moment gekommen, in dem wir dringend ein hochaufgelöstes Spektrum benötigten, um die Metallizität zu bestätigen. Von Zufall konnte man schon gar nicht mehr sprechen: Denn nur einige Tage später sollte einer unserer japanischen Kollegen nach Hawaii zum 8 m-Subaru-Teleskop fliegen, das mit einem hochauflösenden Spektrographen ausgestattet ist. Ziel
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