Auf der Suche nach den ältesten Sternen (German Edition)
seiner Beobachtungskampagne war die Suche nach extrem metallarmen Sternen – ein Programm, das schon seit einigen Jahren am Laufen war. Die Teleskopzeit war schon 2003 bewilligt worden, und so war es ein außerordentlich glückliches Zusammentreffen, dass ich genau zum Zeitpunkt dieser Beobachtungen diesen unglaublich guten Kandidaten gefunden hatte. Der japanische Kollege erklärte sich natürlich sofort dazu bereit, den Stern in das Programm aufzunehmen und ihm die höchste Priorität bei den Beobachtungen einzuräumen.
Was folgte, glich dem Leben auf der Überholspur – zumindest wissenschaftlich gesehen. Wir bekamen das hochaufgelöste Spektrum, und tatsächlich – HE 1327–2326 war rekordverdächtig metallarm! Denn wie sich herausstellte, hatten wir seine Eisenhäufigkeit über schätzt. Interstellares Kalzium zwischen uns und dem Stern war im Spektrum deutlich zu erkennen, was aber im Nachbeobachtungsspektrum aufgrund der geringeren Auflösung nicht hatte erkannt werden können. In Wirklichkeit hatte der Stern viel weniger Kalzium zu bieten. Da wir jetzt aber zwei winzig kleine Eisenlinien im hochaufgelösten Spektrum sehen konnten, waren wir nicht mehr auf die Abschätzung der Metallizität mit Hilfe der Kalziumlinie angewiesen.
Insgesamt konnten wir nur vier Eisenlinien im ganzen Spektrum detektieren, da der Stern aufgrund seines enormen Eisendefizits fast gar kein Eisen in sich hat und die warme Sterntemperatur das Erscheinen der Linien zusätzlich verringerte. Trotzdem konnten wir so die Eisenhäufigkeit von HE 1327–2326 bestimmen: [Fe/H] = –5.4, was nur einem Zweihundertfünfzigtausendstel der solaren Eisenhäufigkeit entspricht. Ich hatte den neuen Rekordhalter für den eisenärmsten Stern in meiner Stichprobe noch im ersten Jahr meiner Doktorarbeit gefunden. Abbildung 10.4 zeigt einen Teil des hochaufgelösten Spektrums mit der Kalzium- K -Linie sowie den stärksten Eisenlinien.
Abb. 10.4: Ein Teilstück des hochauflösenden Spektrums von HE 1327–2326 im Vergleich zu einem ähnlichen, aber etwas metallreicheren Stern, G 64-12. Verschiedene Absorptionslinien um die Kalzium-K-Linie herum sind gekennzeichnet. Statt Eisen sieht man in dieser Region in HE 1327–2326 molekulare Kohlenstoff (CH)-Linien. Die graue Linie, die das Spektrum von HE 1327–2326 größtenteils überdeckt, ist ein synthetisches Spektrum, welches mit den Häufigkeiten des Sterns erstellt wurde. Es gibt das beobachtete Spektrum sehr gut wieder. Die nicht synthetisierte Region ist interstellares Kalzium, was sich zwischen der Erde und dem Stern befindet. Die kleine Box beinhaltet das spektrale Teilstück mit der stärksten Eisenlinie. Alle Spektren sind normalisiert und ggf. versetzt.
Ich konnte das alles kaum glauben, auch wenn meine Arbeit ja genau auf ein solches Ereignis abgezielt hatte. Schon in der groben Arbeitsübersicht, die ich zu Anfang meiner Doktorarbeit einreichen musste, hatte ich einen kleinen Abschnitt eingefügt, der besagte, dass ich im Falle der Entdeckung eines Sterns mit [Fe/H] < –5 alle anderen Projekte in den Hintergrund stellen würde, um mich voll und ganz auf die Neuentdeckung zu konzentrieren. Und genau dieser aufregende Fall war eingetreten.
Wie angenommen, zog diese sensationelle Entdeckung aber gleichzeitig sehr viel Arbeit nach sich. Denn nun musste schnellstmöglich eine detaillierte Analyse angefertigt und publiziert werden. Ein weiterer Stern mit [Fe/H] < –5.0 war ein äußerst wichtiger Fund, der zeigte, dass die Entdeckung von HE 0107–5240 keine Eintagsfliege gewesen war. Eine Gruppe von Sternen mit solchen winzigen Eisenmengen musste existieren, und unsere Suchmethoden bewiesen, dass wir sie finden konnten. Einen einzelnen Stern zu finden kann Zufall sein, zwei Sterne bedeuteten aber, dass wir dem frühen Universum und seinen Geheimnissen gut und sicher auf der Spur waren. Die Details der Häufigkeitsmuster dieser chemisch extrem seltenen Sterne sind deswegen schon in Kapitel 9.3 ausführlich beschrieben worden.
Im Spätsommer 2004 verbrachte ich daraufhin 6 Wochen in Japan, um gemeinsam mit dem deutschen und dem japanischen Kollegen an der Analyse und dem Manuskript zu arbeiten. Im April 2005 wurde die Entdeckung dann endlich von unserem internationalen neunzehnköpfigen Team unter meiner Leitung im Wissenschaftsjournal »Nature« publiziert. Inzwischen gibt es drei weitere Artikel in astronomischen Fachzeitschriften, die weitere Aspekte von HE 1327–2326 und seiner Existenz
Weitere Kostenlose Bücher