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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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seine Frau auswirkte, daß Swann einflußreiche Freunde besaß, die er noch nie erwähnt hatte.
    War nichts außer Hause arrangiert, traf Swann den kleinen Kreis gewöhnlich bei den Verdurins selber an, erkam allerdings nur abends und fast nie schon zum Essen, obwohl Odette ihn häuf ig darum bat.
    »Ich könnte sogar allein mit Ihnen essen, wenn Ihnen das lieber wäre«, sagte sie.
    »Und Madame Verdurin?«
    »Ach, nichts ist leichter als das. Ich brauche ihr nur zu sagen, mein Kleid sei nicht fertig gewesen oder mein Cab 1 sei erst später gekommen. Da findet man doch immer was.«
    »Wie nett Sie sind.«
    Doch Swann sagte sich, daß Odette, wenn sie (dadurch, daß er immer erst bereit war, sie nach dem Abendessen zu treffen) merkte, er habe noch andere Vergnügungen, die er dem Zusammensein mit ihr vorziehe, seiner auf lange Zeit hinaus nicht müde werden würde. Außerdem war es ihm bedeutend lieber, den Beginn des Abends mit einer jungen Arbeiterin zu verbringen, die, frisch und blühend wie eine Rose, an Schönheit in seinen Augen Odette bei weitem übertraf und in die er verliebt war, als mit ihr, die er ja ohnehin noch hinterher sehen würde. Aus dem gleichen Grund wollte er nie, daß Odette ihn zu den Verdurins abholen kam. Die junge Arbeiterin wartete auf ihn an einer Straßenecke, die Rémi, der Kutscher, kannte; sie stieg zu Swann ein und blieb in seinen Armen bis zu dem Augenblick, wo der Wagen bei den Verdurins hielt. Sobald er eintrat und Madame Verdurin, indem sie auf die Rosen zeigte, die er ihr am Morgen geschickt hatte, sagte: »Ich bin Ihnen ernstlich böse« und ihm einen Platz neben Odette anwies, pflegte der Pianist für sie beide das kleine Thema aus der Sonate von Vinteuil zu spielen, das gleichsam die Nationalhymne ihrer Liebe war. Er begann mit dem anhaltenden Tremolo der Geige, das man ein paar Takte lang ohne Begleitung hört und das ganz im Vordergrund steht; dann auf einmal schien es einen Durchblick zugewähren, wie auf den Bildern von Pieter de Hooch der enge Rahmen einer Tür neue Perspektiven eröffnet; in der Ferne, in ganz anderem Ton und im samtigen Schein eines seitlich einfallenden Lichts tauchte die kleine Melodie dann auf, bukolisch, wie ein episodisches Zwischenspiel aus einer anderen Welt. Sie schritt im schlichten Faltengewand der Unsterblichen hin und teilte die Gaben ihrer Anmut mit demselben unsagbaren Lächeln aus; doch glaubte Swann darin jetzt einen Anflug von leiser Enttäuschung zu spüren. Sie schien die Eitelkeit des Glücks zu kennen, zu dem sie doch die Wege wies. In ihrer lichten Grazie lag etwas Abgeschlossenes wie in der zarten Gelöstheit, die auf die Trauer folgt. Doch es machte ihm nichts aus, er sah sie weniger für sich – in dem, was sie für einen Musiker bedeuten konnte, der von ihm und von Odette nichts wußte, als er sie schuf, oder für alle anderen, die sie in Hunderten von Jahren hören würden –, vielmehr als ein Unterpfand und Erinnerungszeichen seiner Liebe, das selbst die Verdurins und den jungen Pianisten an Odette und gleichzeitig an ihn denken ließ und damit ein gemeinsames Band um sie beide schlang; so hatte er denn auch, da Odette ihn aus einer Laune heraus darum gebeten hatte, auf seinen Plan verzichtet, sich von einem Künstler die ganze Sonate vorspielen zu lassen, von der er immer nur die eine Stelle kannte. »Wozu brauchen Sie das übrige?« hatte sie gefragt. »Dies hier ist unser Stück.« Und da er darunter litt, daß das Thema in dem Augenblick, wo es so nah und doch auf dem Weg ins Unendliche an ihnen vorüberschritt, sich an sie wendete, ohne sie doch zu kennen, bedauerte er sogar beinahe, daß es eine Eigenbedeutung, eine ihm innewohnende unverrückbare Schönheit ganz unabhängig von ihnen besaß, so wie man bei geschenktem Schmuck oder sogar den von einer geliebten Frau geschriebenen Briefen dem reinen Wasser des Steinsoder den Wörtern der Sprache grollt, weil sie nicht ausschließlich aus dem Stoff einer flüchtigen Verbindung und eines bestimmten Wesens hervorgegangen sind.
    Häufig geschah es, daß er sich, bevor er bei den Verdurins eintraf, so sehr mit der jungen Arbeiterin verspätet hatte, daß, kaum war das kleine Thema unter den Händen des Pianisten verklungen, für Odette die Stunde des Aufbruchs kam. Er brachte sie bis zu der Tür ihres Hauses in der Rue La Pérouse 1 hinter dem Arc de Triomphe. Und vielleicht deshalb, um nicht alle Gunst von ihr zu erbitten, opferte er das für ihn weniger notwendige

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