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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Swann; »sagen Sie selbst, kennt er seine Sonate, dieser Bursche da? Sie haben sicher nicht gewußt, daß ein Klavier das hergeben kann. Aber das ist ja wahrhaftig gar kein Klavierspiel mehr, bei Gott! Jedesmal bin ich wieder erstaunt, man meint ein Orchester zu hören. Es ist sogar schöner als Orchester, es ist noch vollkommener.«
    Der junge Pianist verbeugte sich; lächelnd und jedes Wort betonend, als äußere er etwas Geistvolles, sagte er:
    »Sie sind sehr nachsichtig gegen mich, Madame.«
    Während Madame Verdurin zu ihrem Mann sagte: »Geh, hole ihm eine Orangeade, er hat es verdient«, erzählte Swann Odette, wie verliebt er schon lange in dieses kleine Thema sei. Als Madame Verdurin von weitem her bemerkte: »Nun, mir scheint, Odette, Sie bekommen da sehr schöne Dinge zu hören«, und diese erwiderte: »Ja, sehr schöne«, war Swann von ihrer Schlichtheit entzückt. Indessen erkundigte er sich nun nach Vinteuil, seinem Werk, der Lebensepoche, in der er diese Sonate komponiert habe, und was das kleine Thema wohl für ihn bedeutet haben mochte; besonders das letztere wollte er sehr gern wissen.
    Doch alle diese Leute, die behaupteten, diesen Komponisten zu bewundern (als Swann gesagt hatte, seine Sonate sei wirklich schön, hatte Madame Verdurin lautausgerufen: »Das glaube ich, daß sie schön ist! Aber man darf überhaupt nicht eingestehen, daß man die Sonate von Vinteuil nicht kennt, man hat kein Recht, sie nicht zu kennen«, und der Maler hatte hinzugesetzt: »Ah, ja! Das ist ein tolles Ding, nicht wahr? Nicht, was überall ›zieht‹ und ›gut und teuer‹ ist, nicht wahr? aber für einen Künstler wirklich ein starker Eindruck«) – diese Leute schienen sich solche Fragen niemals gestellt zu haben, denn sie waren außerstande, darauf Antwort zu geben.
    Swann machte noch eine oder zwei Bemerkungen über sein Lieblingsthema.
    »Was Sie nicht sagen«, meinte Madame Verdurin, »das ist ja amüsant. Ich habe nie darauf achtgegeben: ich muß Ihnen auch gestehen, ich selbst lege keinen Wert darauf, mich in solche Spitzfindigkeiten zu verlieren; wir verlieren hier unsere Zeit nicht mit Haarspaltereien, das ist nicht der Stil des Hauses.« Doktor Cottard folgte ihr, wie sie sich inmitten dieses Stroms von geläufigen Redensarten erging, mit seliger Bewunderung und lernbegierigem Eifer. Im übrigen hüteten er und Madame Cottard sich mit jenem gesunden Sinn, wie ihn auch gewisse Menschen aus dem einfachen Volk besitzen, eine Meinung zu äußern oder Bewunderung zu heucheln, wo es sich um eine Musik handelte, von der sie sich gegenseitig, wenn sie wieder zu Hause waren, eingestehen mußten, daß sie sie ebensowenig verstanden wie die Malerei dieses »Monsieur Biche«. Da das Publikum von dem Charme, der Anmut, den Formen der Natur nur kennt, was sie den Clichés einer langsam verdauten Kunst verdankt, und jeder originale Künstler zuerst einmal diese Clichés verwirft, fanden Monsieur und Madame Cottard als echte Vertreter des Publikums an der Sonate von Vinteuil oder den Porträts des Malers nichts von dem, was für sie den Wohlklang der Musik oder die Schönheit der Malerei ausmachte. Wenn derPianist die Sonate spielte, so schien es ihnen, als bringe er auf dem Klavier nur willkürlich Töne hervor, die nicht eine Abfolge der Bewegungen darstellten, an die ihr Ohr gewöhnt war, und als setze der Maler seine Farben auf die Leinwand nur, wie es gerade kam. Wenn sie auf seinen Bildern eine Figur erkannten, so fanden sie sie klobig und gewöhnlich (das heißt, sie vermißten daran die Eleganz jener Schule der Malerei, mit deren Augen sie sogar auf der Straße die Menschen betrachteten) und nicht der Wahrheit entsprechend, als wisse Monsieur Biche nicht, wie eine Schulter gebaut und daß das Haar der Frauen nicht malvenfarben ist.
    Als die Getreuen sich wieder zerstreut hatten, hielt der Doktor nun aber doch die Gelegenheit für gekommen, und während Madame Verdurin ein abschließendes Wort über die Sonate von Vinteuil sagte, machte er es wie ein unerfahrener Schwimmer, der sich der Übung halber ins Wasser stürzt, aber lieber einen Augenblick wählt, wo nicht viele Leute da sind:
    »Dann ist er also, was man einen Musiker ›di primo cartello‹ 1 nennt!« rief er in jäher Entschlossenheit aus.
    Swann brachte nichts weiter heraus, als daß die erst vor kurzem erschienene Sonate von Vinteuil bei den Anhängern einer sehr fortschrittlichen Schule großen Eindruck gemacht habe, beim großen Publikum aber

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