Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
mehreren, die sie veranstaltet hatte, um die Künstler vorzustellen, die sie später in ihren Wohltätigkeitskonzerten auftreten ließ. Swann, der eigentlich zu allen hatte gehen wollen, sich aber nachher doch nicht dazu entschloß, hatte, während er sich ankleidete, den Besuch des Barons Charlus erhalten, der sich erbot, mit ihm zu der Marquise zu gehen, wenn seine Gesellschaft ihm verhelfen könnte, sich etwas weniger zu langweilen und bedrückt zu fühlen. Swann aber hatte ihm zur Antwort gegeben:
»Sie können sich nicht vorstellen, welch großes Vergnügen es für mich wäre, dort mit Ihnen zusammenzusein. Doch das größte Vergnügen, das Sie mir machen könnten, wäre, statt dessen lieber zu Odette zu gehen. Sie wissen ja, welchen ausgezeichneten Einfluß Sie aufsie haben. Ich glaube, sie ist heute zu Hause, bis sie zu ihrer früheren Schneiderin geht, außerdem hat sie es sicher sehr gern, wenn Sie sie begleiten. Auf alle Fälle treffen Sie sie bis dahin in ihrer Wohnung an. Versuchen Sie, sie gut zu unterhalten und auch ihr zur Vernunft zu raten. Wenn Sie für morgen irgend etwas arrangieren könnten, was ihr Vergnügen macht und was wir zu dritt unternehmen könnten …? Versuchen Sie auch etwas für den Sommer auszumachen, wir könnten vielleicht zu dritt mit einer Jacht irgendwohin fahren oder so? Heute abend rechne ich ja nicht mehr damit, sie zu sehen; wenn sie es aber doch wünscht, oder es fällt Ihnen etwas ein, wie man es einrichten könnte, dann brauchen Sie mir nur ein Wort bis Mitternacht zu Madame de Saint-Euverte oder hinterher zu mir in die Wohnung schicken. Haben Sie tausend Dank für alles, was Sie für mich tun; Sie wissen, wie gern ich Sie mag.«
Der Baron versprach, den gewünschten Besuch zu machen, sobald er ihn bis vor die Tür des Palais Saint-Euverte geleitet hätte; Swann kam dort beruhigt durch den Gedanken an, daß Monsieur de Charlus den Abend in der Rue La Pérouse verbringen würde, jedoch in einem Zustand melancholischer Gleichgültigkeit gegen alle Dinge, die mit Odette nichts zu tun hatten, besonders gegen alles Gesellschaftliche, was diesen Dingen – da sein Wille sich in keiner Weise mehr damit beschäftigte – den unabhängigen Reiz des ganz für sich Bestehenden verlieh. Gleich beim Aussteigen aus dem Wagen fand Swann ein Vergnügen daran, im Vordergrund jenes fiktiven Resümees ihres häuslichen Lebens, das die Gastgeberinnen den Eingeladenen an solchen Galatagen bieten wollen und bei dem sie vor allem auf die Echtheit der Kostüme und der Szenerie Wert legen, die Erben jener »Tiger« Balzacs 1 zu sehen, die Grooms, die bei allen Ausgängen ihrem Herrn zu folgen hatten,jetzt aber mit Dreispitz und hohen Stiefeln draußen vor dem Eingang des Palais auf der Straße standen oder vor den Ställen aufgereiht waren wie Gärtner, die man vor ihren Blumenbeeten postiert. Die besondere Neigung, die er immer gehabt hatte, Analogien zwischen den lebenden Wesen und den Porträts in den Museen zu suchen, wirkte sich auch jetzt noch bei ihm aus, allerdings auf eine beständigere und allgemeinere Art: das ganze Gesellschaftsleben kam ihm jetzt, wo er sich völlig losgelöst davon fühlte, wie eine Bilderfolge 1 vor. Im Vestibül, das er früher, als er noch ganz Gesellschaftsmensch war, im Abendmantel betreten und im Frack wieder verlassen hatte, ohne daß er wußte, was inzwischen geschehen war, da er in Gedanken während der kurzen Augenblicke, die er dort verbrachte, noch bei dem Fest, das er eben verlassen hatte, oder schon bei dem war, das ihn gleich aufnehmen würde, fiel ihm zum ersten Male die durch die unvermutete Ankunft eines so späten Gastes noch einmal aufgeweckte, überall verteilte, prächtige, unbeschäftigte Meute hochgewachsener Diener auf, die hier und da auf Bänken und Truhen schliefen und nun ihre edlen, scharfgezeichneten Windhundprofile reckten, sich erhoben und sich um ihn scharten.
Der eine von ihnen, der besonders trutzig wirkte und etwa einem Henker auf gewissen Renaissancebildern glich, die Folterungen darstellen, trat mit unerbittlicher Miene auf ihn zu, um ihm die Sachen abzunehmen. Doch wurde die Härte seines stählernen Blicks durch die Weichheit seiner Baumwollhandschuhe wettgemacht, so daß es schien, als bezeige er, wie er auf Swann zukam, Verachtung für seine Person und Respekt für seinen Hut. Er nahm ihn mit einer Behutsamkeit entgegen, die in ihrer absoluten Korrektheit etwas Gemessenes und Zartes hatte, durch die seine physische Kraft
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