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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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unvermeidbar, daß die Freundin auch andere als Odette in ihre Loge im Hippodrom einlud, hatte aber nie versucht oder erreicht, sich diese anderen vorzustellen. Wie gern hätte er die Bekanntschaft dieser Freundin gemacht, die ins Hippodrom ging, und wie gern hätte er sich zusammen mit Odette dorthin einladen lassen! Wie gern hätte er alle seine Beziehungenhergegeben für die zu irgendeiner der Personen, die Odette gewohnheitsgemäß sah, ob es sich nun um eine Maniküre handelte oder um eine Verkäuferin! Er hätte sich mehr um sie bemüht als um eine Königin. Hätten sie ihm nicht mit dem Teil vom Leben Odettes, der sich in ihnen verkörperte, das einzig wirksame Beruhigungsmittel für seine Leiden gegeben? Mit wieviel Freude hätte er seine Tage bei den kleinen Leuten zugebracht, mit denen Odette – sei es aus Eigennutz, sei es ganz ohne Hintergedanken – weiterhin verkehrte! Wie gern wäre er in den fünften Stock jenes verkommenen und doch mit Neid betrachteten Mietshauses gezogen, in das sich Odette von ihm nicht begleiten ließ und in dem sie ihn, hätte er dort mit der nicht mehr arbeitenden Schneiderin gelebt, als deren Liebhaber er sich gern ausgegeben hätte, fast täglich besuchen gekommen wäre. Was für eine bescheidene, verachtete und doch beglükkende, von Ruhe und Freude erfüllte Existenz hätte er bereitwillig und für immer in diesen fast proletarischen Vierteln geführt!
    Manchmal kam es noch vor, daß Swann auf Odettes Gesicht, wenn sie in seiner Begleitung jemand auf sich zukommen sah, den er nicht kannte, die gleiche Traurigkeit bemerkte wie damals, als er zu ihr gekommen war und sie gerade Forcheville bei sich hatte. Allerdings war das selten; denn im allgemeinen herrschte an den Tagen, wo sie trotz aller Abhaltungen und aller ihrer Befürchtungen, was die Leute meinen könnten, Swann dennoch einmal sah, in ihrer Haltung jetzt eine Art Sicherheit vor, die ganz im Gegensatz zu der früheren ängstlichen Aufgeregtheit stand – und vielleicht eine unbewußte Rache dafür oder eine natürliche Reaktion darauf war –, die sie in den ersten Zeiten ihrer Bekanntschaft in seiner Gegenwart an den Tag gelegt hatte, ja selbst wenn sie fern von ihm war, zum Beispiel damals, als sie ihrenBrief mit den Worten begonnen hatte: »Lieber Freund, meine Hand zittert so sehr, daß ich kaum zu schreiben vermag« (wenigstens behauptete sie es, und etwas mußte wahr sein an dieser Erregung, daß sie überhaupt auf die Idee kam, diese übertreiben zu wollen). Damals gefiel ihr Swann. Man zittert ja immer nur für sich oder für die, die man liebt. Wenn in ihren Händen unser Glück nicht mehr ruht, welche Ruhe, Behaglichkeit und kühne Selbständigkeit können wir dann in ihrer Nähe genießen! Wenn sie mit ihm sprach, ihm schrieb, gebrauchte sie die Wendungen nicht mehr, durch die sie sich die Illusion zu verschaffen versucht hatte, er gehöre ihr an, als sie noch jede Gelegenheit benutzte, »mein« oder »unser« zu sagen, wenn sie von ihm sprach: »Sie gehören ganz mir, dies ist das Parfüm unserer Freundschaft, ich will es bewahren«, mit ihm von der Zukunft, ja vom Tod sogar als von etwas zu reden, was sie gemeinsam beträfe. In jener Zeit hatte sie auf alles, was er sagte, bewundernd zur Antwort gegeben: »Sie? Sie werden niemals wie all die anderen sein«; sie blickte auf seinen langgezogenen, etwas kahlen Schädel, bei dessen Anblick die Leute, denen seine Erfolge bekannt waren, festzustellen pflegten: »Was wollen Sie, er ist nicht eigentlich hübsch, aber er ist schick: diese Tolle, dieses Monokel, dieses Lächeln!«, und vielleicht noch mehr aus Neugier, ihn kennenzulernen, als von dem Wunsch getrieben, seine Geliebte zu werden, hatte sie damals gemeint: »Wenn ich nur wissen könnte, was hinter dieser Stirn vorgeht!«
    Jetzt gab sie auf alles, was Swann vorbrachte, in einem oft gereizten, manchmal nachsichtigen Ton zur Antwort: »Ach, du bist auch niemals so wie die anderen!« Sie schaute diese Stirn an, die durch den Kummer nur wenig gealtert war (von der aber jetzt alle Leute kraft jener Gabe, die befähigt, den Sinn einer Symphonie zubegreifen, wenn man das Programm gelesen hat, oder die Ähnlichkeit bei einem Kind zu entdecken, dessen Anverwandte man kennt, dachten: Er ist ja nicht wirklich häßlich, wenn man will, aber er ist komisch: dieses Monokel, dieses Lächeln, dieses Toupet! wobei sie deutlich in ihrer stark beeinflußbaren Phantasie die unsichtbare Trennungslinie feststellten, die

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