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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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eine Art rauhen Ton von sich, der bedeutete, daß sie pflichtschuldigst lachte.
    »Ich wußte nicht, daß ich einen so netten Vergleich gebraucht habe, aber in diesem Falle ist es dem Frosch gelungen, so fett zu werden wie der Ochs. 1 Oder vielmehr stimmt das nicht ganz, denn ihre ganze Korpulenz hat sich auf den Bauch konzentriert, sie sieht eher wie ein Frosch in anderen Umständen aus.«
    »Das ist wirklich ein witziges Bild«, meinte Madame de Villeparisis, die ihrer Besucher wegen im Grunde auf den Esprit ihrer Nichte stolz war.
    »Es ist in erster Linie arbiträr «, antwortete Madame de Guermantes, wobei sie dieses sehr gewählte Adjektiv ironisch heraushob, wie Swann es getan hätte, »denn ich gebe zu, ich habe einen Frosch noch niemals niederkommen sehen. Dieser Frosch jedenfalls, der übrigens keiner von denen ist, die einen König haben wollen 2 , denn ich habe sie niemals munterer gesehen als seit dem Tod ihres Gemahls 3 , wird einen Tag in der nächsten Woche bei uns dinieren. Ich habe gesagt, ich würde Sie für alle Fälle verständigen.«
    Madame de Villeparisis ließ eine Art von undeutlichem Brummen hören.
    »Ich weiß, sie hat vorgestern bei Madame von Mecklenburg diniert«, sagte sie. »Hannibal de Bréauté war da. Er hat mir, wie ich sagen muß, sehr witzig davon erzählt.«
    »Bei diesem Essen war jemand, der sehr viel witziger ist als Babal«, sagte Madame de Guermantes, die, obschon sie sehr eng mit Monsieur de Bréauté-Consalvi befreundet war, es gern betonte, indem sie ihn mit dieser Abkürzung bezeichnete. »Nämlich Monsieur Bergotte.«
    Ich war nicht auf den Gedanken gekommen, daß Bergotte als witzig gelten könne; zudem gehörte er für mich der intelligenten Menschheit an, das heißt, ich sah ihn unendlich weit entfernt von dem geheimnisvollen Reich, das ich unter den Purpurdraperien einer Theaterloge erblickt hatte, wo Monsieur de Bréauté dieHerzogin zum Lachen gebracht und mit ihr in der Sprache der Götter jene unvorstellbare Sache: eine Unterhaltung unter Angehörigen des Faubourg Saint-Germain, geführt hatte. Ich war tief betrübt, das Gleichgewicht der Dinge sich derart verschieben und Bergotte vor Monsieur de Bréauté den Vorrang erhalten zu sehen. Besonders verzweifelt aber war ich, daß ich Bergotte an dem Abend der Phèdre -Aufführung aus dem Wege gegangen war, anstatt mich zu ihm zu gesellen, zumal ich jetzt Madame de Guermantes zu Madame de Villeparisis sagen hörte:
    »Das ist der einzige Mensch, den ich gern kennenlernen möchte«, setzte die Herzogin hinzu, bei der man unausgesetzt, wie bei einem geistigen Wechsel der Gezeiten, eine Flut von Neugier hinsichtlich berühmter Intellektueller beobachten konnte, wie sie sich auf ihrem Weg mit einer Gegenströmung von aristokratischem Snobismus kreuzte. »Das würde mir wirklich Vergnügen bereiten!«
    Die Anwesenheit Bergottes an meiner Seite, die ich so leicht hätte herbeiführen können, von der ich aber gedacht hätte, sie sei geeignet, Madame de Guermantes eine schlechte Meinung von mir zu geben, hätte dagegen sicher bewirkt, daß sie mich in ihre Loge gewinkt und mich gebeten hätte, den großen Schriftsteller einmal zu einem Dejeuner mitzubringen.
    »Sehr liebenswürdig scheint er nicht gerade zu sein, er ist Monsieur de Cobourg vorgestellt worden und hat ihn keines Wortes gewürdigt«, setzte Madame de Guermantes hinzu, wobei sie auf diesen merkwürdigen Zug hinwies, wie sie von einem Chinesen berichtet hätte, der sich mit Papier schneuzt. »Er hat kein einziges Mal ›Monseigneur‹ zu ihm gesagt«, erzählte sie weiter, mit einer amüsierten Miene angesichts dieser Einzelheit, die für sie etwa die Bedeutung der Weigerung eines Protestantenbesaß, bei einer Audienz beim Papst vor dem Heiligen Vater niederzuknien.
    In ihrem Interesse für die Eigentümlichkeiten Bergottes schien sie diese übrigens keineswegs tadelnswert zu finden, vielmehr ein Verdienst darin zu sehen, ohne daß sie selbst genau gewußt hätte, um welche Art von Verdienst es sich dabei handelte. Ungeachtet dieser seltsamen Auffassung von der Originalität Bergottes hatte ich doch später Anlaß, es nicht ganz nebensächlich zu finden, daß Madame de Guermantes zur Verwunderung vieler anderer Bergotte witziger fand als Monsieur de Bréauté. Solche vereinzelten, subversiven und trotz allem gerechten Urteile werden durch die wenigen den anderen überlegenen Menschen in die Gesellschaft hineingebracht. Dort aber legen sie in den ersten

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