Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
kennen; aber sie verfügten doch über ein großes Wissen.«
»Oh, Blumen aus jener Zeit, ist das gut gesagt«, rief Legrandin.
»Sie malen da wirklich wundervolle Kirschblüten … oder sind es Dijonrosen«, bemerkte der Historiker der Fronde, nicht ohne ein gewisses Zaudern bei der Bestimmung der Pflanzen, sonst aber mit wieder gefestigter Stimme, denn er hatte den Zwischenfall mit den Hüten jetzt so ziemlich vergessen.
»Nein, es sind Apfelblüten«, fiel die Herzogin von Guermantes zu ihrer Tante gewandt ein.
»Aha! Da sieht man, daß du ein Landkind bist; du kennst wie ich die Blumen.«
»Aha! Ach ja, natürlich! Ich glaubte, die Apfelblüte sei schon vorüber«, bemerkte der Historiker der Fronde aufs Geratewohl, um sich zu entschuldigen.
»Aber ganz im Gegenteil, sie blühen noch nicht, sie tun es auch höchstens in vierzehn Tagen, vielleicht sogar in drei Wochen erst«, berichtigte der Archivar, der, da er sich um die Besitzungen der Marquise kümmerte, über ländliche Dinge besser Bescheid wußte.
»Ja, und das nur hier in der Nähe von Paris, wo sie immer etwas früher kommen. In der Normandie zum Beispiel, bei seinem Vater«, sagte sie mit einem Blick auf den Herzog von Châtellerault, »der prächtige Apfelbäume am Meer hat, wie auf einem japanischen Wandschirm, sind sie erst nach dem 20. Mai so richtig rosa.«
»Ich sehe sie niemals«, sagte der junge Herzog, »weil ich Heuschnupfen 1 davon bekomme, es ist wirklich einfach Klasse.«
»Heuschnupfen? Davon habe ich noch nie etwas gehört«, meinte der Historiker.
»Das ist die Modekrankheit jetzt«, bemerkte der Archivar.
»Es kommt ganz darauf an, vielleicht würden Sie nichts bekommen, wenn es ein wirkliches Apfeljahr wäre. Sie wissen ja, wie die Normannen sagen. ›In einem rechten Apfeljahr‹« 2 , zitierte Monsieur d’Argencourt, der, da ernicht ganz französisch war, sich um so pariserischer zu geben bemühte.
»Du hast ganz recht«, stimmte Madame de Villeparisis ihrer Nichte bei, »es sind Apfelblüten aus dem Süden. Eine Blumenhändlerin hat mir diese Zweige geschickt mit der Bitte, sie von ihr anzunehmen. Das wundert Sie, Monsieur Vallenères, nicht wahr«, setzte sie zu dem Archivar gewandt hinzu, »daß eine Blumenhändlerin mir Blumen schickt? Aber wenn ich auch schon eine alte Frau bin, kenne ich doch ein paar Leute und habe noch einige Freunde«, meinte sie mit einem Lächeln, das man allgemein für treuherzig hielt, während ich persönlich eher glaubte, sie fand es eben pikant, wenn sie bei so vielen großen Beziehungen sich scheinbar auf die Freundschaft einer Blumenhändlerin etwas einbildete.
Bloch stand jetzt auf, um seinerseits die Blumen zu bewundern, die Madame de Villeparisis malte.
»Ihnen kann es doch gar nichts ausmachen, Marquise«, sagte der Historiker, nachdem er seinen Platz wieder eingenommen hatte, »auch wenn es wieder einmal zu einer der großen Revolutionen käme, wie sie so viele Blätter der Geschichte Frankreichs mit Blut gezeichnet haben – und mein Gott, in den heutigen Zeiten kann man ja nie wissen«, fügte er hinzu, wobei er einen vorsichtigen Blick in die Runde warf, als wolle er feststellen, ob nicht vielleicht irgendein »subversiv Gesinnter« sich in diesem Salon befände, wenn er es auch nicht annahm, »bei Ihrem Talent und den fünf Sprachen, die Sie sprechen, würden Sie sich immer aus der Affäre ziehen«. Der Historiker der Fronde genoß einen Zustand relativer Ruhe, denn er hatte seine Schlaflosigkeit vergessen. Plötzlich aber fiel ihm wieder ein, daß er seit sechs Tagen kein Auge zugetan hatte, und schon bemächtigte sich, vom Verstande herrührend, eine schwere Ermüdung seiner Beine,beugte seine Schultern und bewirkte, daß seine traurigen Züge wie die eines Greises schlaff herunterhingen.
Bloch wollte eine Geste machen, um seine Bewunderung auszudrücken, warf aber dabei mit dem Ellbogen die Vase mit dem Zweig um, so daß das ganze Wasser über den Teppich rann. 1
»Sie haben wahrhaftig Feenfinger«, sagte in diesem Augenblick zur Marquise der Historiker, der uns gerade den Rücken zukehrte und Blochs Ungeschicklichkeit nicht bemerkt hatte.
Dieser jedoch glaubte, die Worte seien auf ihn gemünzt, und um die Beschämung über seine Ungeschicklichkeit durch eine freche Bemerkung zu verbergen, erklärte er:
»Das ist gar nicht so wichtig, ich bin nicht naß geworden.«
Madame de Villeparisis schellte, ein Diener kam, um den Teppich trockenzureiben und die Glasscherben zu
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