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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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unserem Erstaunen erholt haben; und so auch die vielen Bündniswechsel, die in kürzester Zeit zwischen den Völkern stattfinden.
    »Mein Gott, da tut sich was, zwischen meinem Onkel und Madame Swann«, sagte Saint-Loup zu mir. »Und Mama, die in aller Unschuld dazwischenplatzt und sie stört. Dem Reinen ist alles rein!« 1
    Ich sah mir Monsieur de Charlus an. Sein grauer Haarschopf, sein lächelndes Auge, dessen Braue durch das Monokel hochgehoben wurde, und sein Knopflochsträußchen aus roten Blüten bildeten gleichsam die drei beweglichen Angelpunkte eines in die Augen fallenden, unstet zuckenden Dreiecks. Ich hatte nicht gewagt, ihn zu grüßen, denn er bedachte mich keines Blicks. Und doch war ich überzeugt, er habe mich gesehen, obgleich er nicht nach meiner Seite gewandt saß; während er Madame Swann, deren prachtvoller pensee Mantel bis auf ein Knie des Barons hinüberflutete, irgendeine Geschichte vortrug, schweiften seine Blicke unruhig umher wie die eines Straßenhändlers, der das Erscheinen der »Polente« befürchtet, und hatten sicher bis in jeden Winkel den Salon durchforscht und alle Personen entdeckt,die sich darin aufhielten. Monsieur de Châtellerault ging zu ihm und begrüßte ihn, ohne daß irgend etwas im Gesicht des Barons darauf schließen ließ, daß er den jungen Herzog schon bemerkt hatte, bevor er vor ihm stand. So behielt Monsieur de Charlus bei größeren Anlässen wie diesem ein beinahe konstantes Lächeln ohne bestimmte Richtung oder spezielles Ziel bei, das also schon vor dem Gruß der Ankommenden bestand und deshalb, wenn diese in seinen Wirkungsbereich traten, keineswegs irgendeine Liebenswürdigkeit ihnen gegenüber bedeutete. Allein, ich mußte wohl oder übel Madame Swann Guten Tag sagen. Da sie aber nicht wußte, ob ich Madame de Marsantes und Monsieur de Charlus kenne, war sie ziemlich kühl; offenbar befürchtete sie, ich werde den Wunsch äußern, durch sie vorgestellt zu werden. Ich trat dann auf Monsieur de Charlus zu und bedauerte es sofort wieder, denn obwohl er mich sehr wohl sehen mußte, gab er es in keiner Weise zu verstehen. In dem Augenblick, in dem ich mich vor ihm verbeugte, fand ich, weit von seinem Körper weggestreckt, von dem er mich mit der ganzen Länge seines Armes fernhielt, einen Finger, dem sozusagen nur der Bischofsring fehlte, denn es wirkte ganz so, als halte er mir zum Kuß die hierfür geweihte Stelle hin, und gleichsam ohne Wissen des Barons schien ich durch einen Einbruch, für den er mich die Verantwortung tragen ließ, in die Permanenz, den Bereich der anonymen, leeren Austeilung seines Lächelns hineingeraten zu sein. Diese Kälte war nicht besonders dazu angetan, Madame Swann von der ihrigen abzubringen.
    »Wie müde du aussiehst und wie sorgenvoll«, sagte Madame de Marsantes zu ihrem Sohn, der gekommen war, um Charlus zu begrüßen.
    Tatsächlich schien Roberts Blick augenblicksweise in eine Tiefe abzugleiten, die er dann sofort wieder verließ wie ein Taucher, der auf den Grund gekommenist. Dieser Grund, dessen Berührung für Robert so schmerzhaft war, daß er ihn gleich wieder verließ, um einen Augenblick später wieder zu ihm hinabzusinken, war die Vorstellung, daß er mit seiner Geliebten gebrochen habe.
    »Nun, laß nur«, setzte seine Mutter hinzu, indem sie ihm die Wange streichelte, »laß nur, ich freue mich auf alle Fälle sehr, meinen kleinen Jungen zu sehen.«
    Da aber diese Zärtlichkeitsbekundung Robert zu verdrießen schien, zog Madame de Marsantes ihren Sohn in den Hintergrund des Salons, wo in einer mit gelber Seide bespannten Nische ein paar Beauvaissessel ihre rotvioletten Bezüge gruppierten wie purpurne Schwertlilien in einem Feld von Butterblumen. Madame Swann, die jetzt allein war und gesehen hatte, daß ich mit Saint-Loup befreundet war, gab mir ein Zeichen, mich zu ihr zu setzen. Da ich ihr seit so langem nicht begegnet war, wußte ich nicht, worüber ich sprechen sollte. Ich verlor meinen Hut nicht aus den Augen unter all denen, die auf dem Teppich standen, fragte mich aber voller Neugier, wem ein anderer gehören mochte, der nicht der des Herzogs von Guermantes war, jedoch im Futter ein G mit einer Herzogskrone trug. Ich wußte von allen Besuchern, wer sie waren, und fand darunter keinen einzigen, dem er gehören konnte.
    »Wie nett Monsieur de Norpois ist«, sagte ich zu Madame Swann, indem ich auf ihn wies. »Robert de Saint-Loup behauptet zwar, er sei ein Greuel, aber … «
    »Er hat ganz recht«,

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