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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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mein Onkel gekannt hatte, die letzten Bilder dieses Daseins eines alten Viveurs, das er hermetisch von seinem Familienleben getrennt hielt. 1 Während der junge Morel sie mir zeigte, wurde ich mir bewußt, daß er es besonders darauf anlegte, zu mir wie zu seinesgleichen zu sprechen. Einfach »Sie« und so selten wie möglich »Monsieur« zu sagen bereitete ihm ungemeines Vergnügen, wie es nicht anders sein konnte bei dem Sohn eines Vaters, der zu meinen Eltern immer in der »dritten Person« gesprochen hatte. Fast alle Photographien waren mit einer Widmung versehen wie: »Meinem besten Freunde«. Eine undankbarere und gewitztere Schauspielerin hatte geschrieben: »Dem besten der Freunde«, was, wie man mir versichert hat, ihr zu behaupten erlaubte, daß mein Onkel keineswegs und bei weitem nicht ihr bester Freund war, wohl aber der Freund, der ihr die größte Zahl an kleinen Diensten erwiesen hatte, der Freund, den sie ausnutzte, ein guter Kerl, fast ein gutmütiger Trottel. Wie sehr aber der junge Morel auch seiner Herkunft zu entkommen versuchte, man spürte doch, wie der Schatten meines Onkels Adolphe, verehrungswürdig und in den Augen des alten Kammerdieners zu übermäßigen Proportionen angewachsen, unaufhörlichund fast wie etwas Heiliges über der Kindheit und Jugend des Sohnes geschwebt haben mußte. Während ich die Photographien ansah, begutachtete Charles Morel mein Zimmer. Und als ich nach einem geeigneten Aufbewahrungsort Umschau hielt, sagte er (in einem Ton, der einen Vorwurf gar nicht erst auszudrücken brauchte, so sehr lag er bereits in den Worten selbst): »Aber wie ist es möglich, daß ich kein einziges Bild Ihres Onkels in diesem Zimmer sehe?« Ich fühlte, wie ich errötete, und stotterte nur: »Ich glaube, ich habe gar keines.« – »Wie? Sie haben keine einzige Photographie von Ihrem Onkel Adolphe, der Sie so sehr geliebt hat! Ich werde Ihnen eine aus dem Haufen schicken, den mein alter Herr besitzt, und hoffe, Sie werden ihr einen Ehrenplatz geben, da über dieser Kommode, die Sie ja gerade von Ihrem Onkel haben.« In Wirklichkeit hatte die Tatsache, daß sich in meinem Zimmer kein Bild meines Onkels Adolphe befand, insofern nichts besonders Verletzendes, als ich ja auch nirgends eine Photographie von meinen Eltern aufgestellt hatte. Aber es war unschwer zu erraten, daß für den Vater Morel, der diese Betrachtungsweise auch seinem Sohn eingeimpft hatte, mein Onkel die wichtige Persönlichkeit der Familie war, von der auf meine Eltern nur ein bescheidener Abglanz fiel. Ich selbst stand mehr in Gunst, weil mein Onkel täglich behauptet hatte, ich werde bestimmt einmal etwas wie ein Racine oder Vaulabelle 1 , und Morel mich als eine Art von Adoptivsohn und Wahlkind von ihm betrachtete. Ich war mir schnell darüber klar, daß der Sohn Morel ein richtiger »Karrierist« war. So fragte er mich an diesem Tag, ob ich nicht für ihn, der ein wenig komponierte und sehr wohl imstande war, Verse in Musik zu setzen, einen Dichter wisse, der in der Welt der »Aristos« eine bedeutende Stellung einnehme. Ich nannte ihm einen. Er kannte die Werke dieses Dichters nicht und hatte nie seinen Namen gehört, notierte ihn abersogleich. Nur wenig später erfuhr ich, er habe an diesen Dichter geschrieben, als fanatischer Bewunderer seiner Werke habe er eines seiner Sonette in Musik gesetzt und würde sich sehr glücklich schätzen, wenn der Librettist es im Salon der Gräfin X aufführen lassen würde. Damit hatte er etwas zu rasch die Karten aufgedeckt. Der entrüstete Dichter antwortete nicht. 1
    Im übrigen schien Charles Morel neben Ehrgeiz auch eine lebhafte Neigung für konkretere Wirklichkeiten zu hegen. Er hatte im Hof die Nichte Jupiens bemerkt, die gerade an einer Weste arbeitete, und obwohl er mir gegenüber behauptete, er brauche nur gerade dringend eine farbige Weste, spürte ich doch, daß das junge Mädchen lebhaften Eindruck auf ihn gemacht hatte. Er zögerte nicht, mich zu bitten, mit ihm hinunterzugehen und ihn vorzustellen, »aber nicht als jemand, der mit Ihrer Familie zu tun hat, sie verstehen, ich zähle auf Ihre Diskretion, was meinen Vater anbetrifft, sagen Sie nur, ein großer Künstler, mit dem Sie befreundet sind. Sie verstehen, Ladenbesitzern muß man imponieren.« Obwohl er mir nahegelegt hatte, ich könne vielleicht, wenn ich ihn auch zu wenig kenne, das verstehe er, um »lieber Freund« zu ihm zu sagen, vor dem jungen Mädchen doch etwas wie »nicht gerade lieber Meister

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