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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Im Vergleich zu den Jahren seiner literarischen Anfänge, dem Fin de siècle, als sich fortschrittliche Zeitschriften wie La Revue blanche noch so gern modernen, gewagten Themen öffneten, hatte sich um 1912 das moralische Klima merklich verändert. Tatsächlich zeigte sich schon ohne den Baron von Charlus ein Francis Jammes über die lesbische Szene in Montjouvain entsetzt. So hat sich denn Proust vor der Veröffentlichung von Sodom und Gomorrha darum bemüht, die Leser von seiner untadeligen Moral zu überzeugen. »Ihr Moralismus«, schreibt er um den 15. Mai 1922 an Jacques Boulanger, »wird jedenfalls auf seine Rechnung kommen, denn am Ende des Bandes wird mein Held, der Sodom verabscheut, heiraten.« Ganz in diesem Sinn hatte Jacques Rivière schon Prousts Theorie der Homosexualität im Eingangskapitel verstanden. »Die moralischen Überlegungen, die dieser letzte Teil in mir hervorgerufen hat«, schreibt er am 24. April 1921 an Proust, »sind so zahlreich, daß es mir im Augenblick den Atem nimmt. Ich empfinde bei der Lektüre dieser erschreckenden (in ihrer Angemessenheit um so erschreckenderen) Seiten, in denen Sie die Rasse der Sodomiten beschreiben, unter anderem eine Art von Genugtuung (auch wenn man so etwas nicht sagen sollte, bitte deshalb nicht weitersagen). Ich brauchte eine solche Entlastung, wie sie mir diese Seiten bringen. Ohne mich dadurch im geringsten erschüttern zu lassen, hatte ich allzu oft gehört, wie man in meinem Umkreis den Begriff von Liebe verfälschte, um nicht mit wohltuender Erleichterung jemand so Gesundes und so vollkommen Ausgeglichenes wie Sie darüber sprechen zu hören.« Ganz anders sah es André Gide, der Proust vorwarf, die Homosexualität nur in satirisch-grotesker Form darzustellen. Gide und Proust haben sich damals häufig getroffen und sich häufig über Homosexualität – über Uranismus, wie Gide sagte – unterhalten. Eines dieser Gespräche ist in Gides Tagebuch am 14. Mai 1920 festgehalten: »Weit davon entfernt seinen Uranismus zu verbergen, stellt er ihn zur Schau, er brüstet sich sozusagen damit. Er sagt, Frauen immer nur geistig geliebt und Liebe immer nur mit Männerngekannt zu haben. Er spricht ohne Unterlaß, auch wenn er sich ständig mit Einschüben unterbricht. Er ist überzeugt, Baudelaire sei Uranist gewesen: ›Die Art und Weise, wie er von Lesbos spricht, ja schon das Bedürfnis darüber zu sprechen, genügten allein, um mich davon zu überzeugen‹, und da ich protestiere: ›Wenn er Uranist war, so war er es jedenfalls, ohne es zu wissen; Sie können sich doch nicht vorstellen, er habe jemals praktiziert … ‹ – ›Und ob!‹, ruft er aus, ›Ich bin vom Gegenteil überzeugt; wie können Sie nur zweifeln, daß er, Baudelaire, praktizierte!‹«
    Um Baudelaire geht es auch in den damals entstandenen kritischen Schriften Prousts, dem Vorwort zu Paul Morands Tendres Stocks (1920) und dem Essay »Über Baudelaire« (1921). Prousts These lautet, Baudelaire erreiche gerade in den von seiner Zeit verkannten und wegen ihrer lesbischen Thematik verurteilten Gedichten klassische Größe und sei einem Racine gleichzusetzen, eine These, mit der die Leser auf die Lektüre und die Beurteilung von Sodom und Gomorrha vorbereitet werden sollten.
    Was die Tageskritik betrifft, so attestiert zwar Paul Souday, der einflußreiche Kritiker von Le Temps , dem Autor von Sodom und Gomorrha , sein Roman sei keine Pornographie und er lasse sich nicht auf das Niveau eines Marquis de Sade herab, doch meint er abschließend, der Band sei nicht eigentlich interessant, »eher unnötig als wirklich skandalös«. Mit einem »Pastiche eines Feuilletons von Monsieur Souday« hat sich Proust Mitte Mai 1922 bei seinem Rezensenten »bedankt«.

    Sodom und Gomorrha ist der letzte Band der Recherche , der zu Lebzeiten des Autors erschienen ist. Trotzdem kann die Erstausgabe kaum als »Ausgabe letzter Hand« bezeichnet werden; denn was dem Verlag als Druckvorlage diente, war ein heterogenes Gebilde, bestehend aus Typoskripten, handschriftlichen Zusätzen, eingeklebten Paperolles usw. Dazu kommt, daß Proust in seiner Ungeduld, sich dem Publikum mitzuteilen (und seine Einkünfte zu verbessern), der Zeitschrift Les Œuvres libres unter dem Titel Jalousie einen längeren Teil von Sodom und Gomorrha als Vorabdruck überlassen hatte, der – in korrigierter Fassung – ebenfalls als Druckvorlage diente. Es erstaunt deshalb nicht, daß sich beider Herstellung des Bandes Probleme ergaben,

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