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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Gefühl? Wie komisch, ich selbst wünsche mir gar nichts mehr als das, ich würde für mein Leben gern auf so etwas stoßen«, hatte sie mit so natürlicher, so überzeugter Stimme gesagt, daß es ihm nahegegangen war. »Sie haben sicher einmal um eine Frau gelitten, und nun meinen Sie, alle sind so wie sie. Sie hat Sie gewiß nicht verstanden; Sie sind ein so ganz besonderer Mensch. Gerade das habe ich von Anfang an in Ihnen geliebt, ich habe gefühlt, daß Sie nicht sind wie dieanderen alle.« »Und dann«, hatte er zu ihr gesagt, »haben Sie doch auch – ich weiß ja, wie die Frauen sind – eine Menge anderer Beschäftigungen, Sie sind sicher nur selten frei.« »Ich? Im Gegenteil, ich habe niemals etwas vor! Ich bin immer frei, für Sie ganz bestimmt. Wann immer bei Tag oder Nacht es Ihnen angenehm wäre, mich zu sehen, lassen Sie mich nur holen, ich werde immer glücklich sein, so schnell wie möglich zu kommen. Werden Sie es auch tun? Wissen Sie, was nett von Ihnen wäre? Sie sollten sich Madame Verdurin vorstellen lassen, bei der ich jeden Abend bin. Denken Sie nur! Wenn wir uns da treffen könnten, und ich dürfte glauben, Sie kämen ein bißchen meinetwegen hin!«
    Gewiß, wenn er in dieser Weise an ihre Unterhaltungen zurückdachte, wenn er sich so in Stunden des Alleinseins mit ihr beschäftigte, tauchte ihr Bild nur unter vielen anderen Frauenbildern in seinen romantischen Träumereien auf; wenn aber durch irgendwelche Umstände (oder vielleicht auch ohne das, denn Umstände, die sich in dem Augenblick einstellen, wo ein bis dahin latenter Zustand offen zutage tritt, können ihn ja in keiner Weise beeinflußt haben) das Bild von Odette de Crécy schließlich seine Träumereien beherrschte und diese von dem Gedanken an sie nicht mehr zu trennen waren, hatte die Unvollkommenheit ihres Körpers keine Bedeutung mehr, überhaupt die Frage nicht, ob er mehr oder weniger als ein anderer Swanns Geschmack entsprach, da er als der Körper derjenigen, die er liebte, von nun an als einziger imstande sein würde, ihm Lust und Qual zu bereiten.
    Mein Großvater hatte, was man von keinem der gegenwärtigen Freunde Verdurins hätte sagen können, dessen Eltern gekannt. Doch er hatte jede Beziehung zu dem Sohn verloren, den er als den »jungen Verdurin« bezeichnete und etwas summarisch, obwohl ermehrfacher Millionär geblieben war, als einen heruntergekommenen Bohemien betrachtete. Eines Tages erhielt er einen Brief von Swann, in dem dieser ihn fragte, ob er ihn nicht mit den Verdurins in Verbindung bringen könne: »Achtung! Achtung!« hatte mein Großvater ausgerufen, »ich wundere mich über gar nichts mehr, dahin mußte es kommen. Das ist ja das richtige Milieu für ihn! Erstens kann ich ihm den Gefallen nicht tun, ich kenne diesen Herrn gar nicht mehr. Und außerdem steckt dahinter bestimmt eine Weibergeschichte, zu so etwas gebe ich mich nicht her. Na gut! Das wird ja heiter werden, wenn Swann sich mit diesen jungen Verdurins einläßt.«
    Auf die negative Antwort meines Großvaters hin hatte Odette es selbst übernommen, Swann bei den Verdurins einzuführen.
    An dem Tag, als Swann zum ersten Mal bei ihnen erschien, hatten die Verdurins Doktor Cottard mit seiner Frau, den jungen Pianisten und seine Tante sowie den damals in ihrer Gunst stehenden Maler zu Tisch. Ein paar andere Getreue kamen später hinzu.
    Doktor Cottard wußte nie mit Sicherheit, in welchem Ton er jemandem antworten sollte, ob sein Gegenüber scherzen wollte oder im Ernst sprach. So fügte er denn für alle Fälle seinem Gesichtsausdruck jederzeit das Angebot eines bedingten und vorläufigen Lächelns hinzu, dessen abwartende Listigkeit ihn von jedem Vorwurf der Naivität freihalten mußte, falls die Äußerung, die man ihm gegenüber getan hatte, ironisch gemeint gewesen war. Doch wie um der entgegengesetzten Hypothese zu begegnen, wagte er es nicht, dieses Lächeln eindeutig auf seinem Gesicht festzulegen, so daß man dort ständig eine Ungewißheit schweben sah, in der die Frage lag, die er zu stellen nicht wagte: »Ist das jetzt ernst gemeint?« Nicht minder unsicher wie in einem Salonwar sein Verhalten auf der Straße, ja im Leben überhaupt, so daß man ihn Vorübergehenden, Wagen oder Ereignissen mit einem schalkhaften Lächeln begegnen sah, das seiner Haltung von vornherein alles Unangebrachte benahm, denn es bewies, wenn diese nicht paßte, daß er das wußte und sie nur spaßeshalber eingenommen hatte.
    Bei allen Gelegenheiten jedoch,

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