Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
Vom Netzwerk:
wo eine freimütige Frage erlaubt zu sein schien, bemühte sich der Doktor, seinen Zweifel auf das Mindestmaß zu reduzieren und seine Bildung zu vervollkommnen.
    So ließ er auf den Rat, den eine weitschauende Mutter ihm mitgegeben hatte, als er seine Provinz verließ, niemals eine Redensart oder einen Eigennamen, die ihm unbekannt waren, passieren, ohne den Versuch zu machen, darüber kundig zu werden.
    Bei Redensarten war er unermüdlich auf Belehrung erpicht, denn da er oft hinter ihnen einen eindeutigeren Sinn vermutete, als sie eigentlich haben, hätte er gern genau gewußt, was mit denen gemeint war, die er am häufigsten hörte, »beauté du diable« etwa, oder »sang bleu« haben, »une vie de bâton de chaise«, »le quart d’heure de Rabelais«, »Arbiter elegantiarum«, jemandem »carte blanche« erteilen, »être réduit à quia« und andere ähnliche 1 , und bei welchen bestimmten Gelegenheiten er sie selbst in seine Reden einflechten könnte. Paßten sie gerade nicht, so brachte er Wortspiele an, die er aufgelesen hatte. Was die Namen neuer Personen betraf, die in seiner Gegenwart erwähnt wurden, so beließ er es dabei, sie in einem fragenden Ton zu wiederholen, der genügen sollte, ihm Erklärungen einzubringen, die er scheinbar nicht verlangt hatte.
    Da ihm der kritische Sinn, den er allem gegenüber zu entfalten glaubte, völlig abging, war jene verfeinerte Höflichkeit, die darin besteht, daß man jemandemgegenüber, dem man gefällig ist, so tut, als habe man vielmehr ihm zu danken (wobei man natürlich nicht möchte, daß er es wirklich glaubt), bei ihm verlorene Liebesmüh; er nahm alles wörtlich. Wie verblendet auch Madame Verdurin in bezug auf ihn war, so hatte sie schließlich doch, obwohl sie ihn auch weiterhin sehr gescheit fand, mit Unbehagen festgestellt, daß, als sie ihn zu einem Stück mit Sarah Bernhardt in eine Proszeniumsloge einlud, und dabei aus Zartgefühl bemerkte: »Es ist wirklich zu nett von Ihnen, Doktor, daß Sie gekommen sind, sicher haben Sie Sarah Bernhardt schon furchtbar oft gesehen, und wir sind auch vielleicht etwas nah an der Bühne«, der Doktor, der die Loge mit einem Lächeln betreten hatte, zu dessen deutlicherer Akzentuierung oder Unterdrückung er abwartete, daß jemand, der dafür zuständig war, ihn über den Wert der Veranstaltung aufklärte, ihr antwortete: »In der Tat, wir sind viel zu nah, und man beginnt doch auch, Sarah Bernhardts überdrüssig zu werden. Aber Sie hatten doch gewünscht, daß ich komme. Ihre Wünsche sind mir Befehl. Ich bin überglücklich, Ihnen diesen kleinen Dienst zu erweisen. Was würde man Ihnen zu Gefallen nicht tun, Sie sind so großherzig!« Und er fügte hinzu: »Sarah Bernhardt? Das ist doch die ›goldene Stimme‹, nicht wahr? Man liest oft, sie ›spiele alle anderen an die Wand‹. Ein sonderbarer Ausdruck, nicht wahr?«, letzteres in der Hoffnung auf einen Kommentar, der jedoch unterblieb.
    »Weißt du,« hatte Madame Verdurin zu ihrem Gatten gesagt, »ich glaube, wir machen einen Fehler, wenn wir dem Doktor gegenüber aus Bescheidenheit herabsetzen, was wir ihm bieten. Er ist ein Gelehrter, der außerhalb des praktischen Lebens steht. Er kennt den Wert der Dinge nicht und glaubt in dieser Hinsicht, was wir ihm darüber erzählen.« »Ich hatte nicht gewagt, dich daraufaufmerksam zu machen, aber ich habe es auch schon bemerkt«, pflichtete Verdurin ihr bei. Und am folgenden 1. Januar kaufte Verdurin für Cottard, anstatt ihm einen Rubin für dreitausend Francs mit dem Bemerken zu schenken, es sei ja gar nicht der Rede wert, einen aufgearbeiteten Stein für dreihundert Francs und gab ihm dabei zu verstehen, man werde schwerlich einen schöneren finden.
    Als Madame Verdurin angekündigt hatte, daß im weiteren Verlauf des Abends Swann erscheinen würde, hatte der Doktor ausgerufen: »Swann?«, in einem vor lauter Verwunderung geradezu brüsken Ton, denn die geringste Neuigkeit setzte diesen Mann, der sich immer auf alles vorbereitet glaubte, mehr als irgend jemanden in Erstaunen. Als niemand ihm Antwort gab, stieß er in höchster Verstörtheit hervor: »Swann? Aber wer ist denn das, Swann?«, doch er beruhigte sich sofort, als Madame Verdurin sagte: »Aber das ist doch der Freund, von dem Odette uns erzählte.« »Ah! gut, gut. Dann ist ja alles in Ordnung«, antwortete der Doktor mit wiedergewonnener Ruhe. Der Maler hingegen war erfreut, daß Swann Madame Verdurin vorgestellt werden sollte, er nahm an, er sei in

Weitere Kostenlose Bücher