Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
oder Tuchergilde, das Hauptgewerbe der Stadt vertrat. Die einflussreichsten Florentiner Gilden waren damals die der Richter, Bankiers, Ärzte, Seiden- und Wollhändler, aber auch der Pelzhändler und Kürschner, deren Waren sich im Winter großer Nachfrage erfreuten, weil Pelz billiger war als Tuch. Die Florentiner Arte dei medici e speziali, zu der Ärzte, Chirurgen, Zahnärzte und Optiker gehörten, hatte über 1000 Mitglieder. Nach ihrem Examen mussten die Ärzte versprechen, sich von Tavernen und Bordellen fernzuhalten. Die Stadt stellte ihnen ein Pferd und einen Diener zur Verfügung, und sie waren von der Steuer befreit. *55 Die noch erhaltenen Zunfthallen der Seidenweber und der Wollhändler gehören zu den schönsten Gebäuden von Florenz.
Seit Beginn des 13. Jahrhunderts schlossen sich verschiedene Gilden unter der Bezeichnung popolo zusammen – ein irreführender Begriff, weil »das Volk« in seiner späteren Bedeutung (die Armen, die Bauern und die ungelernten Handwerker) damit nicht gemeint war. Il popolo, das waren Zusammenschlüsse von Gilden, die vom Adel politische Zugeständnisse forderten. Die wohlhabenderen unter ihnen wie Kaufleute und Juristen (der popolo grasso ) strebten Ämter an, während die ärmeren (der popolo minuto ) eine unparteiische Justiz und gerechte Steuern verlangten, Bereiche, in denen der Adel oft ungerechtfertigte Vorteile genoss.
Die Grenzen zwischen den sozialen Klassen waren aber selten scharf gezogen, und die Gruppierungen, die in den Städten kämpften und aufbegehrten, waren selten homogen. Adlige schlossen sich zuweilen dem popolo an, Zunftangehörige schlugen sich auf die Seite der Aristokraten, und Angehörige des popolo minuto kämpften häufig gegen Parteigänger des popolo grasso.
Die Konflikte mehrten sich Anfang des 13. Jahrhunderts. Bewaffneten Banden des popolo gelang es im Jahr 1203, die Adligen von Lucca zu vertreiben. 1250 übernahm der popolo hier erneut die Macht, kurz danach auch in Bologna und Genua. Sogar Siena, wo es friedlicher zuging als in den meisten anderen Städten, hatte in den drei Jahrzehnten nach dem Sturz der Neun 1355 immer wieder mit Krawallen, Aufständen und Putschversuchen zu tun. Der popolo war bis 1368 an der Macht, als ein Aufstand die Anführer des popolo minuto an die Regierung brachte. Die Triumphe des popolo beschränkten sich allerdings auf die Toskana, insbesondere Florenz, wo der popolo minuto einen Großteil des 14. Jahrhunderts an der Macht beteiligt war. Nur in einer Handvoll Städte der Lombardei, der Emilia und Venetiens erreichten diese Gruppen mehr als nur vorübergehende Erfolge.
Die gewaltsamen Auseinandersetzungen in den Städten beschränkten sich nicht aufunterschiedliche soziale Schichten, die um wirtschaftliche Interessen kämpften. Aus den Querelen zwischen den Adligen, die um die wenigen Ämter stritten, entwickelten sich häufig kriegerische Konflikte. Da die Magnaten in den Städten und nicht in Burgen auf dem Land lebten, hielten sie es für notwendig, Festungen in Form von mittelalterlichen Wolkenkratzern zu errichten: Türme, teilweise 70 Meter hoch, wie sie heute noch in dem kleinen Ort San Gimignano und in Bologna zu bestaunen sind, wo 22 der einst gut 80 Geschlechtertürme ganz oder teilweise erhalten sind. In Florenz gab es in der Blütezeit noch mehr davon, rund 150. Diese Bauten, offensichtlich für militärische Zwecke geschaffen, dienten als Wachttürme, Zuflucht und Bastion, waren aber auch Prestigeobjekte, Gepränge und Großtuerei und entsprangen dem Wunsch, andere einzuschüchtern. Mit ihnen konnten die Menschen ihr ewiges Verlangen stillen, höher zu bauen als der Nachbar und andere zu »überragen«.
Soziale Zugehörigkeit, Konkurrenzkampf und Racheakte befeuerten diese Querelen ebenso wie die Loyalität zum fernen Reich und zum Papsttum. Aber der Triumph einer Fraktion über eine andere brachte selten Frieden. Sobald die siegreichen Guelfen ihre Gegner vertrieben oder vernichtet hatten, gingen sie aufeinander los: in Parma und Florenz ebenso wie in Reggio, Piacenza, Imola, Modena. In Florenz trieb die Fehde zwischen den strikt papsttreuen Schwarzen Guelfen und den versöhnlicheren Weißen Guelfen Dante in ein lebenslanges Exil.
Aus dem Blickwinkel des 16. Jahrhunderts, als die italienische Halbinsel von Invasionen ausländischer Mächte heimgesucht wurde, räumte der florentinische Historiker und Staatsmann Francesco Guicciardini ein, dass die »Katastrophen«, die Italien erdulde,
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