Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
auch nicht die Hauptstadt einer Seerepublik wie Venedig. Es war die am deutlichsten militärisch geprägte Stadt Italiens, Hauptstadt eines Landes, in dem die Armee jahrhundertelang eng mit dem Staat verflochten war.
An dieser Verbindung wollten die Piemontesen nach der Gründung des neuen Königreichs Italien festhalten. Die Grenzen zwischen dem zivilen und dem militärischen Bereich wurde im neuen Parlament, wo 25 Generäle und vier Admiräle saßen, rasch verwischt. Einige von ihnen waren gewählte Abgeordnete, andere vom König ernannte Senatoren. Die Oberbefehlshaber der Armee und der Marine konnten zugleich Abgeordnete und sogar Kabinettsminister sein. Somit war weder ihre politische Neutralität gewährleistet, noch hatten sie die Zeit, ihre Aufgaben ordentlich auszuführen. Im Juni 1866 war General Alfonso La Marmora nicht nur Ministerpräsident und zugleich Außenminister, sondern auch Oberbefehlshaber der Truppen am Rande eines Krieges.
Im Offizierskorps der italienischen Armee gaben piemontesische Veteranen den Ton an, die darauf brannten, den neuen Streitkräften ihr Ethos einzupflanzen. Viele Soldaten stammtenaus Gegenden, die nach Meinung der Offiziere schon immer miserable Kämpfer hervorgebracht hatten. Unglücklicherweise schienen auch die Piemontesen selbst ihre Kampfestugenden eingebüßt zu haben. Ihre Militärführung waren phantasielose, rückschrittliche Generäle, die argwöhnisch gegenüber begabten, entschlusskräftigen Männern (besonders Garibaldi) waren und an herkömmlichen Taktiken und am Einsatz des Bajonetts festhielten. Ein Musterbeispiel war General Alfonso La Marmora, nach Cavours Rücktritt 1859 und erneut 1864 italienischer Ministerpräsident: ein Kommandant ohne jeden Sinn für Strategie, aber besessen vom militärischen Drill und allen Neuerungen abgeneigt.
La Marmoras Denkmal in Turin auf einem der schönsten Plätze der Stadt ist so eindrucksvoll, dass man es auswärtigen Besuchern nachsieht, wenn sie glauben, es handle sich um einen großen Eroberer, eine Art piemontesischen Hannibal. Wie die savoyischen Herrscher reitet er ein edles Pferd, der Sockel ist mit Löwenköpfen geschmückt, und die Inschrift erinnert an die Stationen seiner Karriere. Der General machte sich mit der brutalen Niederschlagung des Aufstandes in Genua 1849 einen Namen. Der Gedanke drängt sich auf, dass hier die soeben von den Österreichern vernichtend geschlagenen Piemontesen ihren Ärger an einer ihrer eigenen Städte ausließen. Mit dem Ruf des harten und zuverlässigen Soldaten stieg La Marmora rasch auf. Man übertrug ihm die Leitung des piemontesischen Korps auf der Krim, wo sein Bruder Alessandro, der Begründer der Truppe der Bersaglieri (»Schützen«, die Infanterietruppe mit dem Federhut), an Cholera starb. Als Stabschef diente er 1859 Vittorio Emanuele loyal, wenn auch mit mäßigem Erfolg. Er gewann das Gefecht bei Palestro, doch zur Schlacht bei Magenta kam seine Armee zu spät, und bei San Martino schnitt er schlecht ab. Bald danach ernannte ihn der König, der gefügigen Generälen gegenüber schwierigen Politikern den Vorzug gab, zum Ministerpräsidenten. Die nächsten sieben Jahre verbrachte La Marmora in der Politik, wo sein Mangel an Begabung und Weitblick nur allzu offenkundig wurde. Im Juni 1866 trat er von seinen politischen Ämtern zurück, um sich auf seine Aufgaben als Stabschef zu konzentrieren und in der Lombardei die vielbeschworene »Bluttaufe« zu erhalten. Man sah dem Ausgang der Kämpfe zuversichtlich entgegen, nicht zuletzt weil die Österreicher sich zu dieser Zeit auf Preußen konzentrierten und nur eine kleine Armee in Venetien zurückgelassen hatten – dieses Gebiet wollten sie nicht mehr, und sie hatten schon angeboten, es zu räumen. Die Italiener wiederum hatten in den letzten Jahren ihre Streitkräfte ausgebaut und waren nun beim Kräftemessen nahe Verona dem Gegner zahlenmäßig um mehr als das Doppelte überlegen.
Der andere führendeGeneral dieses Feldzugs war Enrico Cialdini aus Modena, der La Marmora und die übrigen piemontesischen Generäle argwöhnisch beäugte, weil er ihnen nicht ganz zu Unrecht als Befehlshaber nichts zutraute. Er hatte 1859 in der Lombardei gedient, erste militärische Erfahrungen aber unter schwierigeren Umständen in den 1830er Jahren im ersten spanischen Karlistenkrieg gesammelt. Im 7. Kapitel habe ich schon die Invasionen von 1860 beschrieben und die Grausamkeit, mit der Cialdini jeglichen Widerstand im Kirchenstaat und
Weitere Kostenlose Bücher