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Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Titel: Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gilmour
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die Menschen aus ihrer Heimat fort. Was für Verbesserungen gab es schon, abgesehen von ein paar neuen Eisenbahnstrecken? Viele Süditaliener kamen zu dem Schluss, dass die Einheit ein Fehler gewesen war. Den Nationalisten, die die Einigung als unausweichliches Schicksal hinstellten, hielten sie entgegen: Dann hätte man ein föderales und kein zentralistisches System schaffen müssen. Zwei herausragende Süditaliener setzten sich schon Anfang des 20. Jahrhunderts für einen Bundesstaat ein. Man müsse dem Süden ermöglichen zu wachsen, erklärte der Historiker Gaetano Salvemini aus Apulien, und ihm Autonomie gegenüber der Zentralregierung einräumen. Lasst uns im Süden in Ruhe, forderte der sizilianische Priester Don Luigi Sturzo, aus dessen katholischer Volkspartei später die Democrazia Cristiana hervorging.

    Lasst uns im Süden uns selbst regieren. Lasst uns unsere eigene Finanzpolitik planen, unsere eigenen Steuern erheben, die Verantwortung für unsere öffentlichen Bauarbeiten selbst übernehmen und für unsere Probleme eigene Lösungen finden. […] Wir sind keine Schulkinder, wir brauchen nicht den besorgten Schutz des Nordens. *218

    Im Jahr 1899 schrieb Giustino Fortunato, einer der gescheitesten italienischen Politiker, nicht umsonst habe »ein anderer, und dieser andere war mein Vater!, gesagt, die Einheit Italiens sei eine Sünde gegen die Geschichte und gegen die Geographie«. *219 Er selbst empfand es manchmal genauso, und obwohl er ein loyaler Patriot war, gab er doch im Vertrauen zu, dass die Einigung Italiens den Süden zerstört und seinen wirtschaftlichen Aufschwung in den 1860er Jahren verhindert hatte. Er sah die Nation immer wieder in Gefahr auseinanderzubrechen. Zur selben Zeit bemerkte ein Piemontese im Gespräch mit dem französischen Romancier René Bazin in eindrucksvoller Bildhaftigkeit: »Unser Land ist viel zu langgestreckt, Signore. Der Kopf und der Schwanz werden einander nie berühren, aber falls doch, wird der Kopf den Schwanz beißen.« *220

ROM UND DAS PARLAMENT
    Die neue italienische Hauptstadt wurde bisweilen als das Dritte Rom (la terza Roma) nach dem Rom der Caesaren und dem Rom der Päpste bezeichnet. Als Erben einer so eindrucksvollen Vergangenheit hatten die Politiker das Gefühl, die Hauptstadt mit entsprechendem Glanz ausstatten zu müssen. Das Dritte Rom sollte breite Straßen, imposante Tiberbrücken und repräsentative öffentliche Gebäude haben. Unerlässlich waren auch Uferbefestigungen entlang des Tibers, um Überschwemmungen zu verhindern.
    So herrlich Rom bis heute ist, im Zuge dieser Umgestaltung ging dennoch vieles verloren. Klöster und Konvente wurden abgerissen, alte Villen und Gärten niedergewalzt, um neuen Bauprojekten Platz zu machen. Der Reiseschriftsteller Augustus Hare klagte 1896, das alte Rom sei »verschandelt«, »zerstört« und von der piemontesischen »Besatzung« auf ein »schlechtes Mittelmaß« herabgestuft worden. *221 Einige der neuen Gebäude sind gewiss monströs, insbesondere der Justizpalast, ein wuchtiger, ornamental überladener Komplex. Er wurde 1893 am Tiber erbaut, ungeachtet der unterirdischen Quelle, so dass die Fundamente absackten und das Gebäude fast eingestürzt wäre. Eine andere Monstrosität ist das Denkmal für Vittorio Emanuele II., den ersten König des geeinten Italien, vielleicht das größte Monument für eine Einzelpersönlichkeit seit der Großen Pyramide von Gizeh. Oft abschätzig mit einer Hochzeitstorte oder einer Schreibmaschine verglichen, ist das Vittoriano das alles überragende Symbol des Dritten Rom. Schon seine Position – es versperrt den Blick auf Michelangelos Paläste auf dem Kapitol – verweist darauf, dass seine Architekten sich den Erbauern des Ersten und des Zweiten Rom überlegen dünkten. Das Monument ist nicht nur ein bombastisches Ungetüm am falschen Ort, sein strahlend weißer Marmor aus Brescia steht in schrillem Kontrast zum lokalen Baustein, dem warmen und leicht ockerroten Travertin.
    Die Hauptstadt des geeinten Italien sollte nicht nur ein würdiges Pendant des früheren Rom sein, sondern auch das vatikanische Rom, Rivalin und Opfer zugleich, in den Schatten stellen. Das versuchte man mit dem Bau neuer Straßen im Umkreis der päpstlichen Enklave, denen man die Namen großer Römer aus vorchristlicher Zeit wie Scipio, Cicero, Pompeius und der Gracchen verlieh. Es gibt zwar auch eine Piazza Cavour und eine Piazza del Risorgimento, die die Mauern des Vatikans flankieren, aber an

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