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Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Titel: Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gilmour
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Gesellschaft, die offensichtlich nicht darauf vorbereitet war. In seinem Roman geht Tomasi di Lampedusa recht milde mit den Piemontesen in Sizilien ins Gericht. Satirisch zeichnet er ihre Naivität, statt ihre mangelnde Kenntnis des Südens und ihr arrogantes Auftreten anzuprangern. Kritischer sah er die Einstellung und das Verhalten seiner Landsleute, obwohl er ihre Zukunftsängste ebenso verstand wie ihr Gefühl, ein erobertes Volk zu sein und nicht wirklich dem neuen Staat anzugehören.
    Fürst Fabrizio begreift, ebenso wie der Autor, dass die Gegnerschaft gegen die Bourbonen keine so drastischen Maßnahmen erfordert hätte, dass die Sizilianer verrückt waren zu glauben, die starke Hand Turins könne ihnen dienlicher sein als die lockere Kontrolle durch Neapel.
    Sizilianer und andere Süditaliener hatten mit zahlreichen Nachteilen zu kämpfen, unter anderem mit den alten Übeln der Dürre, des unfruchtbaren Bodens und der miserablen Transportwege zu ihren potenziellen Exportmärkten im fernen Norden. Nach der Einigung mussten sie auch noch die unüberlegte Wirtschaftspolitik der Regierung hinnehmen. Der Freihandel im Zuge der Unabhängigkeit hatte die Schwerindustrie Neapels wie auch die Seiden- und sonstige Textilindustrie im gesamten Süden ruiniert. Die Regierung erlag dem Trugschluss, sie könne süditalienischen Produzenten den Geist von Manchester einhauchen, Leuten, die niemals in Lancashire gewesen waren und weder das Kapital noch die nötige Erfahrung besaßen, um ihre Branchen umzustellen. Eine Generation später distanzierte sich die Regierung von ihren Dogmen des Manchester-Kapitalismus, und 1888 brach Ministerpräsident Francesco Crispi einen Zollkrieg mit den Franzosen vom Zaun, der für Italien verheerend war. Die Exporte nach Frankreich gingen um zwei Drittel zurück. Auch wenn die Schutzzölle den Landwirten Norditaliens und den Getreidebauern des Südens halfen, die nicht für den Export produzierten – für die Obst- und Weinerzeuger waren sie katastrophal. Nach der immensen Schädigung französischer Weingärten durch die Reblaus in den Jahren nach 1875 hatten italienische Winzer in ihre Betriebe investiert und waren durch den Export zu Wohlstand gelangt. Aber nach der Einführung von Strafzöllen in Frankreich konnten sie mit dem sich erholenden französischen Weinbau nicht mehr konkurrieren. Die Regionen, die am meisten unter Crispis Handelskrieg litten, waren Apulien und seine Heimatinsel Sizilien.
    In den 1870er Jahren bereisten einige herausragende Parlamentarier den Süden der Halbinsel, berichteten über die dortige Lage und schlugen Regierungsmaßnahmen vor. Zur ersten Generation dieser Altruisten, die später als meridionalisti (Vertreter des Südens) bekannt wurden, zählten Sidney Sonnino, Leopoldo Franchetti und Giustino Fortunato, ein liberaler, aufgeklärter, aber zutiefst pessimistischer Grundbesitzer aus der Basilicata. Ihre Untersuchungen waren gründlich und verlässlich und brachten verheerende Zustände ans Licht: Armut, Verwahrlosung, fehlende staatliche Bautätigkeit und krasse soziale, steuerliche und wirtschaftliche Ungerechtigkeit. Vielleicht konzentrierten sie sich zu sehr auf die rückständigsten Gebiete des Südens und übersahen bestimmte Nuancen, die das krasse Bild der »zwei Italien« abgemildert hätten. Aber ihre Erkenntnisse waren stichhaltig, ihre Ratschlägevernünftig, und für Italien war es eine Tragödie, dass es ihnen nicht gelang, die Regierung zu einer Politik zu bewegen, die dem Süden das Gefühl vermittelt hätte, Teil der neuen Nation zu sein.
    In den Abruzzen, so berichtete Franchetti, seien die Landarbeiter praktisch Sklaven der Grundeigentümer. In Sizilien kam Sonnino zu dem Schluss, den Bauern ergehe es schlechter als irgendwo sonst in Europa, ja schlechter als vor der Einigung Italiens. Beide betonten, der Liberalismus sei in diesen unterdrückten und verarmten Gesellschaften ein sinnloses Konzept, und warfen den Grundbesitzern vor, sich weder um Verbesserungen ihrer Ländereien zu bemühen noch Häuser für die Familien zu bauen, die ihre Felder bearbeiteten. Riesige Latifundien blieben auch nach 1860 im Besitz dieser Grundherren, die jetzt sogar noch mächtiger wurden als unter den Bourbonen. In den ländlichen Regionen war der neue Staat so schwach, dass sie an dessen Stelle traten. Sie waren Arbeitgeber und sprachen Recht, sie bestimmten, wer Abgeordneter wurde, sie bauten Brücken und Straßen, wo es ihnen passte. Ihre Position war

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