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Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Titel: Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gilmour
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die blutigsten Schauplätze des Kampfes um die Einheit (Solferino,Milazzo, Volturno etc.) erinnern weiter entfernte Straßen rund um den Hauptbahnhof.
    Papst Pius IX. reagierte auf die Einnahme Roms 1870 mit der Exkommunikation des »subalpinen Usurpators« (Vittorio Emanuele) und weigerte sich, das geeinte Italien anzuerkennen. Doch trotz aller Feindseligkeiten erkannte der neue Staat, dass er die Unterstützung der katholischen Kirche brauchte, und kam daher dem Papst schon früh entgegen. Das Garantiegesetz von 1871 sicherte ihm den Status als Souverän mit Gesandtschaftsrecht und die Dotation einer jährlichen Rente zu, außerdem konnte er frei über den Vatikan verfügen – keine übermäßig großzügigen Zugeständnisse vielleicht und dennoch unklug, weil sie zuließen, dass ein »Staat im Staat« entstand, der in den nachfolgenden 60 Jahren dem sehr viel größeren Staatsgebilde Italien straflos die Legitimität absprechen konnte.
    Der Papst, der sich gern als einen »Gefangenen im Vatikan« bezeichnete, lehnte das Angebot ab. Er hatte die Eroberung Roms, die Schließung der Klöster und den Verlust seiner Territorien nicht verwunden, schlug Verhandlungen mit der italienischen Regierung rundweg aus und bestand darauf, der rechtmäßige Herrscher des Kirchenstaats zu sein. Seine Reaktion auf den italienischen Nationalismus und viele Aspekte der modernen Welt führte die Kirche auf den Weg eines Obskurantismus, den die meisten seiner Vorgänger nicht zu gehen gewagt hatten. Im Jahr 1854 verkündete er das Dogma der Unbefleckten Empfängnis Mariens als eine von Gott geoffenbarte Wahrheit. Zehn Jahre später veröffentlichte er den Syllabus Errorum , eine Liste mit 80 modernen Irrtümern, und erklärte, der Papst könne »Fortschritt, Liberalismus und Zivilisation neuester Observanz« keinesfalls akzeptieren. 1870 proklamierte er das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes, wenn er sich in seiner Eigenschaft als Bischof von Rom in Glaubens- und Sittenfragen äußere. Doch er und seine vier Nachfolger waren merkwürdig zögerlich, die Macht auszuüben, auf der er bestanden hatte. Kein Papst beanspruchte die Unfehlbarkeit bis zum Jahr 1950, als Pius XII. erklärte, die Jungfrau Maria sei »mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen worden«.
    Bereits 1864 hatte der Papst mit der längsten Dienstzeit überhaupt den italienischen Katholiken verkündet, es sei »nicht angebracht« (non expedit) , bei den Parlamentswahlen ihre Stimme abzugeben – diese Weisung wiederholte er nach der Einnahme Roms. Sie wurde von seinem Nachfolger Leo XIII. bekräftigt, der 1881 den katholischen Gläubigen verbot, für die Abgeordnetenkammer zu kandidieren oder zur Wahl zu gehen. Erst im 20. Jahrhundert erlaubte ein Papst in einer Enzyklika den Katholiken die Ausübung ihres Wahlrechts, um die soziale Stabilität zu wahren, mit anderen Worten, zu verhindern, dass die aufstrebende Sozialistische Partei zur dominierenden politischen Kraft im Land wurde.
    Viele Katholiken wählten trotzdem. Dennoch war die Weigerung des Vatikans, den italienischen Staat anzuerkennen, fatal für den Zusammenhalt und die Konsolidierung der neuen Nation. Fast alle Italiener waren katholisch, und das Papsttum war die einzige Institution im Land, die Kontinuität und Beständigkeit repräsentierte. Pius IX. hätte eine einigende Kraft sein können, doch er entschied sich stattdessen, ein Spalter zu sein. Seine Empörung und seine Feindseligkeit ermutigten viele, die Legitimität des neuen Staates in Frage zu stellen, wodurch die Loyalität von Millionen italienischer Staatsbürger geschwächt wurde. Eine Allianz aus Nationalisten und Katholiken hätte wie in Irland, Spanien und Polen eine starke Kraft sein können. Stattdessen vertiefte sich die Kluft in einem ohnehin gespaltenen Land, und diese Situation dauerte bis zur Unterzeichnung der Lateranverträge 1929 an. Strenggläubigen Katholiken blieb damit die Teilnahme am politischen Leben Italiens verwehrt, bis nach dem Zweiten Weltkrieg ein Christdemokrat Ministerpräsident wurde.
    Das Parlament des geeinten Italien, gewählt von weniger als einer halben Million Wahlberechtigten, 20 hatte in Turin unter einem nicht sehr günstigen Stern seine Arbeit aufgenommen, und das änderte sich auch nicht, als es einige Jahre lang in Florenz tagte. Cavours politische Dominanz in den 1850er Jahren hatte die endemische Instabilität eines Systems verschleiert, das einem unberechenbaren Monarchen viel

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