Auf der Suche nach Tony McKay
du denn die Nummer her?’
Die Nummer ist eines von zwei Kleidern, die ich besitze. Sie ist grün, reicht zur Mitte meiner Oberschenkel und hat Spaghettiträger. Ich habe sie mir gekauft als Holger, mit dem ich vor zwei Jahren eine Weile zusammen war, sich über meinen Mangel an femininer Kleidung beklagt hat. Holger kommt ursprünglich von südlich vom Kanal [5] . Das mag seine Kritik an meinem Aussehen erklären, denn hier oben im Norden tragen beide Geschlechter eigentlich das Gleiche. Also habe ich mir einen Satz rote Unterwäsche gekauft und dieses Kleid. Langfristig genützt hat es jedoch auch nichts. Holger ist mittlerweile mit Mandy, ursprünglich aus Eisenhüttenstadt, verheiratet, hat gerade eine Doppelhaushälfte erworben und ein Kind ist unterwegs. Wenn ich daran denke, fühle ich einen leichten Stich – das wäre vielleicht meine Chance zu einem normalen, angepassten, bürgerlichen Leben gewesen. Nach der Cognacaktion in Westerdeichstrich ist die Doppelhaushälfte aber in weite Ferne gerückt.
Heikos Wohnung ist nicht nur tadellos aufgeräumt, sondern duftet auch sauber nach Putzmitteln und Apfelkuchen. Heiko hat gebacken.
‘Kaffee?’ fragt er.
‘Klar,’ antworte ich. In Norddeutschland ist dies eine rhetorische Frage.
‘Kuchen?’
‘Sowieso.’
‘Alles klar?’ will Rosa wissen.
‘Ja,’ sage ich, ‘guckt euch das mal an,’ und leere die zwei Tüten voller Make-up auf den Tisch.
‘Mein Gott, Maggie, ich wusste gar nicht gar nicht, dass du so viel Schminkzeug hast,’ sagt Britta.
‘Das meiste ist von einer Schülerin geliehen,’ erkläre ich, ‘die träumt von einer Karriere als Kosmetikerin in Hollywood und übt schon mal, während Mama und Papa der Überzeugung sind, dass sie Jura studieren und dann Papas Kanzlei übernehmen wird.’
‘Tja, dann können die sich mit meinen Eltern zusammentun und eine Selbsthilfegruppe zur gegenseitigen Unterstützung gründen – meine Eltern hatten auch andere Pläne für mich,’ erwidert Britta.
Unterdessen hat sich das Paulchen in die Tür gesetzt und beobachtet wie Heiko vor einem kleinen Spiegel anfängt, blauen Lidschatten und einen orangen Lippenstift aufzutragen. Heiko betrachtet sich, dreht sich zu uns um und fragt, ‘Was denkt ihr?’
‘Ich denke, der Lippenstift beißt sich mit dem Lidschatten – versuch’ mal weniger orange und mehr rot,’ sagt Britta.
Wir beginnen nach rotem Lippenstift zu suchen und finden eine richtig knallige Farbe. Heiko tupft sich das Orange ab und legt rot auf. Er macht einen Schmollmund und betrachtet sich. Dann guckt er in die Runde.
‘Super,’ sagt Britta, ‘siehst ein bisschen wie meine Cousine Svenja aus Flensburg aus. Die hatte es immer leicht einen Mann zu finden und ist mittlerweile zum dritten Mal verheiratet.’
Rosa und ich kichern und Heiko guckt selbstzufrieden in den Spiegel.
Plötzlich schreckt uns ein Geräusch hoch, das sich wie ein gestöhnter Schnarcher anhört. Wir gucken Heiko an. Der guckt zum Paulchen. Paulchen guckt zurück und ich schwöre, er hat einen Ausdruck von peinlicher Berührtheit auf seinem platten Gesicht.
‘Was ist denn mit dem los?’ will Britta wissen.
‘Ja, er macht manchmal diese Geräusche wenn er ganz entspannt sitzt.’
‘Du meinst, er schnarcht im Sitzen,’ sage ich. ‘Das war eindeutig ein Schnarcher.’
‘Schnarcht der auch nachts?’ fragt Rosa. ‘Das würde erklären, warum du mitunter so übernächtigt aussiehst.’
‘Er kann nichts dafür,’ beginnt Heiko.
‘Wir wissen,’ unterbreche ich ihn, ‘das liegt an der Rasse.’
‘Facebase, Concealer und das Zeugs machen wir nachher, jetzt kommt erstmal das Kleid,’ sagt Britta und holt ein eng anliegendes, langes, schwarzes Kleid aus ihrer Tasche, nebst einer durchsichtigen, schwarzen Seidenstrumpfhose und einem BH mit Gel-Einlagen.
‘Hier, probier die mal, falls sie nicht passt hab’ ich noch eine andere Größe.’
‘Oh, du hast ja an alles gedacht,’ sagt Heiko, ‘aber ich hab’ schon welche... von meiner Mutter geliehen,’ fügt er schnell hinzu.
Heiko verschwindet mit dem Kleid nach nebenan.
‘Als nächstes bist du dran,’ sagt Britta zu Rosa, ‘ich denke jede Menge Kajal, vielleicht lila Lidschatten?’
‘Mir egal, probier einfach mal aus.’
Britta sucht die entsprechenden Utensilien aus dem Gewirr und beginnt, Rosa auf muslimisch zu schminken.
Heiko ruft von nebenan, ‘Kann mir mal einer mit dem Reißverschluss helfen?’
Ich gehe und leiste
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