Auf der Suche nach Tony McKay
die älteren verbringen den Größeren Teil der Zeit mit Hilfe ihrer Handys auf Facebook, den jüngeren schiebe ich eine Star Wars Part IV DVD rein, und alle sind happy.
Als ich nach Hause komme und die Nachrichten einschalte, blicken mir Hilde, Dieter und der Herr Hubert aus dem Fernseher entgegen. Hilde verliest gerade eine Reihe von Forderungen, angefangen von der sofortigen Verstaatlichung der Post, bis hin zum Wiederaufbau der Mauer. Außenaufnahmen des Postgebäudes zeigen diverse Banner, sowie eine verbarrikadierte Eingangstür und vernagelte Fenster. Da haben die drei ganze Arbeit geleistet. Eine Reihe Nachrichtensender sind vor Ort, einer sogar aus China. Ich rufe Rosa an.
‘Schalt mal den Fernseher an,’ sage ich ihr, ‘ARD.’
Stille am anderen Ende.
‘Oh Mein Gott,’ entfährt es ihr.
‘Du bist dir hoffentlich im klaren darüber, dass das einzig und allein deine Schuld ist.’
St.Pauli
Am Freitag fühle ich mich wieder einigermaßen normal, nachdem ich das Schlafdefizit aufgeholt habe. Rosa emailt mir und lässt mich wissen, dass Harry den Verlust der Flaschen – vorerst – nicht bemerkt hat. Britta will wissen, wann und wo wir uns morgen treffen werden. Da Heiko sich angeboten hat zu fahren, schlage ich Heikos Wohnung vor, dort können wir ihn, und Rosa, dann transformieren. Ich bin immer noch nicht überzeugt, dass das Ganze so eine gute Idee ist, aber Heiko ist voll bei der Sache und emailt mir täglich mit Vorschlägen und Fragen zum Thema Make-up. Er schickt mir links zu Websites über Modetipps für muslimische Frauen und will wissen, was ich über dieses oder jenes Ensemble denke. Es wäre grausam, ihm dieses Abenteuer zu nehmen, jetzt wo nach zehn Jahren Schalterdienst in der Volksbank endlich mal was Aufregendes in seinem Leben passiert.
Heiko wohnt in einem der gutbürgerlichen Vororte von H. (wo sonst gäbe es Einliegerwohnungen?). Ich habe den Bus genommen und laufe nun mit zwei Tüten voller Make-up, das ich mir größtenteils von einer fünfzehnjährigen Nachhilfeschülerin geliehen habe, an manikürten Vorgärten vorbei. In jedem zweiten stehen Garten-Ornamente, meist in der Form von Zwergen mit Schiebkarren, zum Teil aber auch Rehe, Frösche, Mini-Springbrunnen und, inkongruenterweise, zwei schwarzbunte Kühe nebst Melkmaschine.
Heikos Vorgarten ist zwar zwergenlos, dafür sitzt da etwas unmotiviert eine riesige Katze aus Ton, die verdammte Ähnlichkeit mit Heikos Viech hat.
Während ich noch stehe und darüber sinniere, geht die Tür auf und Heikos Mutter kommt heraus.
‘Ist der nicht toll?’ will sie von mir wissen, ‘den habe ich extra für Heikos letzten Geburtstag machen lassen, damit unser Paulchen etwas Gesellschaft hat. Das hat der Herr Schröder vom Schillergymnasium gemacht, alles nach Foto,’ informiert sie mich stolz.
Da bin ich aber beruhigt, dass der Künstler das arme Paulchen nicht als lebendes Modell genommen und mit Gips übergossen hat, denke ich bei mir. Inwiefern das Paulchen die Gesellschaft eines Tonkaters im Vorgarten zu würdigen weiß, ist unklar.
‘Heiko ist ja schon so aufgeregt wegen eurem Ausflug nach Hamburg,’ sagt sie und während sie sich umdreht etwas leiser, ‘ich bin ja so froh, dass er mal rauskommt, immer nur hier zuhause, da findet der ja nie eine Freundin, ich sag’ immer zu ihm, ‘Heiko,’ sag’ ich, ‘lad’ doch mal eine Kollegin zum Kaffee ein,’ aber der ist ja viel zu schüchtern.’ Sie atmet tief ein und seufzt, bevor sie fortfährt,
‘Wär ja alles so viel einfacher, wenn sein Vater noch lebte, der hätte ihm da helfen können, aber was soll man machen?’ fragt sie und guckt mich schicksalsergeben an.
Zu meiner Erleichterung erscheint Heiko in der Tür.
‘Na endlich,’ sagt er, zieht mich an seiner Mutter vorbei zur Tür hinein und in den ersten Stock hoch. Direkt hinter der Türschwelle sitzt das Paulchen und faucht mich an.
Britta und Rosa sitzen schon in Heikos kleiner Küche. Britta sieht glamourös aus mit fließenden blonden Locken und einem roten Minikleid mit Ausschnitt. Selbst Rosa, die ich außer zur Abiturentlassungsfeier in nichts anderem als Jeans und T-Shirt gesehen habe, trägt ein dunkelrotes Kleid – bodenlang mit Gürtel in der Mitte und einem langen schwarzen Kopftuch, das nach russischer Bauernart am Hinterkopf festgeknotet ist.
‘Wow,’ sage ich, ‘ihr wollt’s aber wissen!’
Ich ziehe meinen Mantel aus.
‘Selber wow,’ antwortet Britta, ‘wo hast
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