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Auf der Suche nach Tony McKay

Auf der Suche nach Tony McKay

Titel: Auf der Suche nach Tony McKay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yt Genthe
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verstehen wohl nur die, die jemals Photofilme haben entwickeln lassen zu Zeiten, als es noch keine Digitalkameras gab.
    Wie dem auch immer sei, außer uns ist die Bar leer, selbst Harry, der üblicherweise sein eigener bester Kunde ist, hat sich irgendwo hin subtrahiert. In der Leere tritt die Schäbigkeit von Harry’s Bar noch deutlicher hervor: die Risse in den langen, dunkelroten Samtvorhängen, die dem Ganzen einen leichten Hauch von Bordell geben, ebenso wie die sich langsam von der Wand ablösende Blumentapete aus den Siebzigern.
    ‘Setz’ dich doch zu uns,’ sage ich schnell und so dass Britta nicht groß etwas entgegen setzen kann. Rosa sieht sich um, sieht den leeren Raum und weiß, dass sie nicht wirklich eine Ausrede hat abzulehnen.
    ‘Na gut,’ brummt sie und schlendert zurück zum Tresen, um sich ein Glas zu holen.
    ‘Spinnst du, die hat mir gerade noch gefehlt!’ zischt Britta mir zu. Britta ist immer noch sauer auf Rosa seit einem missglückten Ausflug nach Italien vor zwei Jahren. Doch davon an anderer Stelle.
     
    Die Inkongruenz unserer Runde ist in diesem Augenblick wohl nicht nur mir, sondern vermutlich auch allen anderen am Tisch bewusst. Wir kennen uns zwar seit wahrscheinlich bald zwanzig Jahren und haben alle im gleichen Jahr Abitur gemacht, doch könnten wir unterschiedlicher kaum sein.
    Obgleich das nicht ganz stimmt. Es gibt, und gab, da wichtige Gemeinsamkeiten, Verbindungen. Für einen kurzen Augenblick zum Ende unserer Schulkarriere, da verbündete uns ein Buch gegen die Zielstrebigkeit derer, die auf ein BWL-Studium zusteuerten, gegen die Gleichgültigkeit derer, die Papas Handwerksbetrieb übernehmen würden und denen Bücher nur ein Mittel zum Zweck waren, um durch eine einigermaßen erträgliche Punktzahl im Deutschkurs den Notendurchschnitt etwas nach oben zu kurbeln, denn Deutsch war einfacher als Physik.
    Wir saßen also alle zusammen in demselben Deutsch-Kurs. Da unser Kurs nicht eben voller akademischer Überflieger war, hat uns die Schulleitung meist irgendwelchen Referendaren zum Fraß vorgeworfen. Nicht dass das einen großen Unterschied gemacht hätte, denn die waren auch nicht schlechter als die verbeamteten Oberstudienräte kurz vor der Pensionierung, die ehedem ihre Examensarbeit über die Funktion der Rahmenerzählung in den Novellen Theodor Storms geschrieben haben und seitdem jahraus, jahrein Schüler, die doch gar nichts dafür können, doch gar nichts Böses verbrochen haben, außer vielleicht in der großen Pause hinterm Fahrradschuppen eine zu rauchen, über viele Stunden damit quälten, ebendiese Rahmenerzählung erzähltechnisch derart zu sezieren, dass jenseits des zerfledderten literarischen Kadavers genau nichts mehr von dem Oevre des armen Herrn Storm übrig blieb.
    In der zwölften Klasse also hatten die uns einen Referendar beschert, Deutsch/Englisch die Fächerkombination, der uns nicht nur nicht zwang Storm zu lesen, nein, wir durften selber vorschlagen was wir lesen wollten. Er hat es allerdings zur Bedingung gemacht, dass wir am Ende des Jahres ein Buch seiner Wahl lesen. Und zum Anfang des Sommers dann, nachdem wir fast ein Jahr lang über Hesse, Kafka und Werner-Comics diskutiert hatten, da hat er uns ein Buch präsentiert, das uns schlicht umgehauen hat. Geschrieben von Tony McKay, einem Amerikaner, also eigentlich gar nicht erlaubt im Deutschunterricht, in der kongenialen Übersetzung eines taxi-fahrenden Amerikanisten. Tony McKay hatte nur dieses eine Buch geschrieben, das ein Weilchen brauchte, um überhaupt jemandes Aufmerksamkeit zu erregen, und als Leute dann anfingen, über das Buch zu sprechen, war er schon aus der Öffentlichkeit verschwunden. Es war ein Buch, wie man es nicht oft liest, ein Buch, das nur für uns geschrieben worden war, genau, präzise und auf den Punkt erfasste, wie wir uns fühlten. Es erklärte die Welt auf einmal in einer Weise, die Sinn für uns machte.
    Der Rest unseres Deutsch-Kurses war relativ gleichgültig, sie fanden keinen Bezug dazu, aber für zwei Wochen verbrachten Britta, Rosa, Heiko und ich jede Pause in Diskussionen verstrickt – darüber, wie es sein kann, dass etwas, das aus einem für uns so exotischen Land wie den USA kam, unser Leben und wie wir fühlten so genau beschreiben kann. Und vor allem auch Diskussionen darüber, wo Tony McKay jetzt wohl ist, was er macht, und wie cool es wäre, wenn wir ihn fänden und interviewen könnten.
    Für mich hatte das Ganze eine besondere Relevanz, da

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